l’Autre pépinière in Frankreich und bapob e.V. in Berlin

Heute, anlässlich des Tages des Freiwilligendienstes, schreiben wir im Namen von zwei Partnervereinen in Frankreich und Deutschland – l’Autre pépinière in Frankreich und bapob e.V. in Berlin. Gemeinsam organisieren wir den Deutsch-Französischen Freiwilligendienst der Alternativen (DFFA).

Der französische Verein l’Autre Pépinière ist ein Verein, der 2015 von 4 Fortbildnerinnen, u.a. tätig beim Deutsch-Französischen ökologischen Freiwilligendienst, gegründet wurde, weil wir den Freiwilligendienst in Richtung solidarische und soziale Ökonomie weiterentwickeln wollten.

Partnerverein auf deutscher Seite ist der seit 1980 im Bereich der (internationalen) politischen Bildungsarbeit aktive Berliner Arbeitskreis für politische Bildung e.V. (bapob), der uns bei der Suche nach Einsatzstellen  und bei der pädagogischen Begleitung der Freiwilligen aus Deutschland unterstützt.

Seit 2015 ist die Regenbogenfabrik eine unserer Einsatzstellen und ermöglicht es, jungen Französ*innen tolle Erfahrungen in einem alternativen, partizipativen & originellen Projekt zu sammeln. Mit dem Freiwilligendienst in der Regenbogenfabrik bieten wir jungen Menschen einen Perspektivwechsel, indem sie eine andere Art des Zusammenlebens und -arbeitens, eine Vision der Welt und des Zusammenlebens entdecken können. Diese vielschichtigen Perspektiven liegen auch uns sehr am Herzen.

Aber worüber reden wir?

Der Deutsch-Französische Freiwilligendienst der Alternativen (DFFA) ermöglicht es jungen Menschen aus Deutschland und Frankreich zwischen 18 und 25 Jahren, einen 12-monatigen Freiwilligendienst im jeweiligen Partnerland zu machen.

Für die Freiwilligen ist dieses Jahr ein Jahr der Orientierung, (Fort-)Bildung und persönlichen Entwicklung, das es ihnen ermöglicht, neue Erfahrungen zu sammeln, sich selbst besser kennenzulernen, um anschließend, bereichert mit neuen Ideen und Perspektiven, zu entscheiden, was sie machen möchten.

Indem ihr die Freiwilligen im Laufe der Jahre aufgenommen haben, habt ihr sie (mit Geduld und Flexibilität!) bei der Entdeckung eures Handelns, eurer Werte und Visionen begleitet und ihnen ermöglicht, autonomer und selbstständiger zu werden, (erste) Arbeitserfahrungen zu sammeln und sich auch bei Euch einzubringen und engagieren zu können.

Ihr habt für jede*n von ihnen (und auch für uns !) immer Geduld, Verständnis und Offenheit gezeigt, und das sind unser Meinung nach die wichtigsten Bausteine um eine*n junge*n Freiwillige*n aus dem Ausland aufzunehmen und bei seiner*ihrer Entdeckung eines neuen Landes und der neuen Herangehensweisen zu begleiten.

Vielen Dank an die Macher*innen und Engagierten der Regenbogenfabrik – auch im Namen von Sarah, Margaux, Léonie, Margaux & Lénaïg – für die Zusammenarbeit und das Vertrauen!

Avec toute notre amitié und mit solidarischen Grüßen!

Bertille für l’Autre pépinière und Franziska für den bapob

Deutsch-französischer Freiwilligendienst der Alternativen (DFFA)

Werner Orlowsky

Heute, am 8. April, wäre mein Vater Werner Orlowsky 93 Jahre alt geworden.

Das hat er leider nicht geschafft.

Er ist am 16. Februar 2016 nach langer Krankheit in der Datsche seiner 2. Gattin verstorben.

Ich befand mich zu dieser Zeit im Urlaub auf Gomera und hatte dort Zeit, mir über Trauerfeier und Beerdigung Gedanken zu machen, Tränen fließen zu lassen.

Die „Abschiedsfeier“ in der Kirche am Marheineckeplatz war würdig, gut besucht, nach der Urnenbeisetzung mit sehr sehr vielen Menschen aus Politik, Bezirksamt, Inis, Vereinen und Privatleben ging’s zum „Fell versaufen“ nochmal in das Seitenschiff des Kirchenhauses. Bei Blechkuchen, Kaffee und so einigen Schnäppeken wurde viel gelacht, erinnert, kennengelernt,  wiedererkannt. Das hat Spaß gemacht, manche Kontakte sind mir geblieben.

Im Februar diesen Jahres war ich wieder auf Gomera (jaja, trotz Pandemie!) und habe die Orte meiner ersten Trauerphase besucht.

Dabei kamen sie: die Filme über die gemeinsamen Erlebnisse in unser beider Leben – Bilder durch das innere Kino laufen zu lassen ergab sich dabei wie von selbst. An Fantasie hat es in unserer Familie noch nie gemangelt.

Dass bei einem Familienleben, in dem beide Elternteile noch als Jugendliche die Nazizeit und den 2. Weltkrieg miterlebt haben (Werner war Flakhelfer im Humboldtbunker), nicht immer nur positive Erinnerungen haften bleiben, das kann jede*r aus unserer – der 1980er-Generation – sicherlich nachvollziehen und abnicken.

Erinnerungen an Erzählungen über die Großeltern, die im deutschen Faschismus nicht nur „normale Bürger“ sondern Täter*innen, Mittäter*innen oder Mitläufer*innen – in den selteneren Fällen Opfer  oder Widerstandskämpfer*innen – waren, tauchen auf, verdichten sich, wenn ein nahes Familienmitglied aus dieser Generation gestorben ist.

Zum Glück hat meine mit knapp 92 noch quicklebendige Mutter vieles ausgegraben, Wunden eröffnet, die natürlich nie verheilen können. Für die auch sie belastende Recherchearbeit bin ich ihr bis heute sehr dankbar.

Meinen Opa väterlicherseits, der von Zeug*innen schwer „belastet“ und bis zu seinem frühen Tod inhaftiert wurde, habe ich nie kennengelernt.

Es sind aber nicht nur diese „anstrengenden“, zur Verantwortungsübernahme aufrufenden „Nie wieder Faschismus!“ Narrative, die mich in den letzten Jahren – mal im Traum, mal „einfach so“ – quasi anfallen, wenn ich ein Erinnerungsstück von Werner – die geliebten LPs von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong oder alte Familienfotos  – in den Händen halte.

Ab und an an seinem Grab auf dem Friedhof in der Bergmannstraße stehe und stille Gespräche mit meinem widersprüchlichen Vater führe, dessen lebensbejahendes Lachen ich aus der Urne aufsteigen höre.

Es gibt da eben sehr viele lustige Momente aus Kindheit, Jugendzeit, bei gemeinsamen Reisen und Ausflügen, Schabernack (konnte er ganz gut und mit Verve) und kleine „Gesetzesübertretungen“ im Alltag (die mittlerweile verjährt sind…), die mich noch jetzt zum Schmunzeln bringen, über die ich mit meiner Schwester plaudere: das ist für mich die Phase nach der Trauer, wenn wir loslassen können.

Werner war in seinem Job als Baustadtrat von (damals „nur“) Kreuzberg in den Jahren 1981-89 zeitlich sehr eingespannt, er musste sich vieler Feind*innen erwehren. Wir waren uns politisch oft uneins. Als damalige Hausbesetzerin habe ich mich dennoch öfters ins sein Büro gemogelt, um ihn mal wieder zu sehen und war dort gerne willkommen. Auch dank seiner bezaubernden „Vorzimmerdame“, wie er sie nannte.

Ich erinnere mich z. B. an eine heftige verbale Auseinandersetzung mit einem LKA-Beamten, der als Personenschutz abgestellt war, nachdem mein Vater nachts von einem Nazi körperlich angegriffen wurde. Werners Sekretärin hat dann „Ansage gemacht“.

Zu den lustigen Begebenheiten zwischen Werner und mir gibt es – jenseits seines zeitraubenden nervigen bürokratischen Alltags, den mein Vater wirklich gehasst hat – eine ungewöhnliche Story, die mir lebhaft in Erinnerung geblieben ist:

Empfang bei „den Amis“

Alljährlich wurden Kreuzberger Bezirksstadträte und Bürgermeister in der Vorweihnachtszeit von ranghohen Alliierten empfangen. So auch im Jahr 1982.

Doch das ist eine andere Geschichte, die erzählen wir später.

Claudia O.

Die Fotos in der Diaschau wurden von der Autorin zur Verfügung gestellt.

Das Titelfoto stammt von © Manfred Kraft  |  Polizeikessel anläßlich des Reaganbesuchs in Berlin am Nollendorfplatz am 11.6.82

„Unruhe ist die erste Bürgerpflicht“

– unsortierte Gedanken zu 40 Jahre Regenbogenfabrik

1981, als die Regenbogenfabrik besetzt wurde, war ich gerade nicht in Berlin, weil die Erwerbsarbeit mich an den Rhein gelockt hatte. Da ich aber noch eine Zahnbürste und etwas mehr in Berlin hatte, habe ich die Besetzungen natürlich mitgekriegt. Zehn Jahre früher, war ich selbst bei einer Besetzung dabei. Damals haben wir (die Bürgerinitiative Falkenhagener Feld) im Zusammenhang mit den Besetzungen im Märkischen Viertel, am Mariannenplatz und dem Georg-von-Rauch Haus ein kommunales Clubhaus in einem neu gebauten Stadtteil besetzt, weil es geschlossen werden sollte und weil wir es in Selbstverwaltung übernehmen wollten. Das Polizeiaufgebot, das uns nach drei Tagen Tag-und-Nacht-Besetzung mit Helmen und bewaffnet, herausgetragen hat, vergesse ich nie. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit der Polizei Probleme bekam. Bürgerinitiativen schossen seit 1968 wie Pilze aus dem Boden. Sie trugen die Revolte vom Universitätscampus in die Städte und an die Stadtränder. Als das Bezirksamt uns zum Gespräch „eingeladen“ hatte, und uns vorschlug, wir sollten doch Ruhe geben und endlich praktisch was für die BürgerInnen tun und „Banken“ aufstellen – sie meinten Parkbänke – stellten wir eine auf und schrieben in großen Lettern darauf: „Unruhe ist die erste Bürgerpflicht“. Daraufhin organisierten wir eine Demo bei der es um den Bau einer Schule ging. Es war die größte Demo die das Falkenhagener Feld je erlebt hatte. Die Schule wurde in der „planlos aus dem Boden gestampften Neubausiedlung“ (Zitat von damals) gebaut. Das Clubhaus besteht heute noch – in kommunaler Verwaltung.

Als ich im Jahr 2007 von meinem langen Ausflug an den Rhein nach Berlin zurückgekehrt war, zog ich nach Kreuzberg und lebe seitdem in einem Wohnprojekt in der Nachbarschaft der Regenbogenfabrik am Luisenstädter Schifffahrtskanal, der den Landwehrkanal, den man von meinem Balkon aus sehen kann, mit der Spree verband. Leider wurde der Kanal zwischen 1926 und 1929 zugeschüttet und in eine Gartenanlage umgestaltet, sonst könnte ich mit dem Boot direkt von meiner Haustür aus zu meinen FreundInnen in der „Lausitzer“ schippern. Nun benutze ich eben das Fahrrad oder gehe zu Fuß. Die Regenbogenfabrik ist für mich so etwas wie mein zweites zu Hause geworden. Ich gehe da ins Kino, ins Café, lese aus meinen jeweils neuesten Werken vor, lass dort mein Fahrrad reparieren, von Andy meine Büchlein und Kalender verkaufen, erfahre, dass es noch viele linke GenossInnen gibt, die ebenso wie ich schreiben; andere singen, machen Musik, treffen sich zum griechischen Salon und vieles mehr. Wenn es meine Zeit erlaubt, bin ich dabei; bei den tollen Festen sowieso. Und nicht zu vergessen die Wandergruppe und meine beiden Freundinnen Christine und Johanna, die mich über den ersten Corona-Lock-Down durch gemeinsame wöchentliche Sonntags-Fahrrad-Fahrten gerettet haben, und auch jetzt noch, wo seit November wieder alles geschlossen sein musste, oft mit mir unterwegs sind. Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas oder besser wie eine große Lupe, die Probleme sichtbar macht, die vorher schon vorhanden waren, sagen viele. So geht es auch den selbstverwalteten Projekten. Ich bewundere die Phantasie und die Kraft mit der die AktivistInnen, die Regenbogenfabrik, trotz fehlender finanzieller Mittel, am Laufen halten. Auch jetzt zum 40jährigen haben sie sich so viel ausgedacht, unter anderem diesen blog, eine Ausstellung, zahlreiche Veranstaltungen und Filme, die man zu Hause auf dem Computer sehen kann und ich weiß nicht, was ihnen noch einfällt.

Dennoch hoffe ich, dass wir uns bald wieder „richtig“ treffen können, unseren nächsten Kalender „Wegbereiterinnen“ vorstellen können und mein neues Buch, das in den nächsten Tagen erscheint. Aber nicht nur das, ich bin gespannt, was noch alles passiert, wenn die Räume – und damit mein zweites zu Hause – das zum Glück auf der linken Seite liegt, wenn ich das Tor verlasse, wieder offen sind.

Gisela Notz

Regenbogenfabrik 2021

Gallisches Dorf Kreuzberg (Benvenuto Römer!): Cuvrystraße?, Heinrichplatz? Wohngemeinschaft im Altbau? Kultur am Flutgraben? Kindergarten? Café und Kantine? Hostel? Schlesische 27? Festung? Kommune? Kulturhalle?

Die Reihe wird endlos – hat aber nur eine Adresse, die Vieles verbindet: Die Regenbogenfabrik Block 109!

Was macht die Regenbogenfabrik so einzigartig: Es sind wohl zwei Hauptgründe:

  1. maoistisch gesehen und nach meiner Ansicht unter vielen Zitaten am besten getroffen: „Wasser kann ohne Fische fließen, aber Fische?“ – denen bleibt nur das Fahrrad.
  2. ist die alemannisch-deutsche Lebenserhaltungslogik: Erbbaurecht (seriöser als Bodenkauf!), gemeinnützig (kein Fisch weit und breit?), versorgungsnah (Kantine statt Curry36, aber kein Veggizwang!), Reparaturbetriebe (trainieren fürs autolose Zeitalter (ab Generation 2035?). Kindergarten und für alle Fälle Kino mit Kühlschrank.

Hoş geldiniz Türk hemşerileri!

Fazit: Wenn in den kommenden Jahrzehnten die „Mischung A+B =C“ weiterhin so gut funktioniert, ist mir nicht bange um die Menschen bei Euch, das Projekt und die Unterstützung „von draußen“.

Liebe Regenbognerinnen und Regenbogner (habe ich die Sternchen nicht gut vermieden?), ich wünsche Euch ein fortschrittliches, coronafreies, gesundes und dabei auch bestmögliches kollektives Wohlsein und grüße Euch von Ulrike. Euer Gert

Gert Behrens

Berlin 24. Januar 2021