Damals und heute | Kiezdrache gegen Verdrängung – Futura gegen AKW

Rund 1000 Menschen demonstrierten am 17. November 2018 mit einem leuchtenden Kiezdrachen gegen Verdrängung durch den Kreuzberger Kiez. Der Laternenumzug startete am Heinrichplatz und zog vorbei an widerständigen Hausgemeinschaften und Projekten, die durch teure Mieten und von Kündigung bedroht sind.

„Der solidarische Kiezdrache strahlt in vielen Farben, spricht alle Sprachen, hat ein großes Herz und scharfe Zähne, kann sich ganz klein und ganz lang machen, und teure Mieten, Mieterhöhungen und Kündigungen faucht er weg. Er fühlt sich besonders wohl in Kitas und sozialen Einrichtungen. Wenn sie von Verdrängung bedroht sind, fährt er seine Krallen aus. Der Kiezdrache wünscht sich mehr Platz für das Soziale, für Bildung und Betreuung. Er akzeptiert nicht, dass unsere Nachbarschaften von Renditejägern ausverkauft werden. Der Kiezdrache hängt auch in Nachbarschaftstreffs oder in seiner Stammkneipe rum, kehrt auf einen Plausch in den kleinen Läden ein, und kuschelt sich in all unseren Wohnungen gerne auf die Couch – darum kämpft er dafür, dass alle bleiben! (aus dem Aufruf von Bizim-Kiez)

https://www.bizim-kiez.de/blog/2018/11/19/1000-menschen-ziehen-als-kiezdrache-gegen-verdraengung-durch-kreuzberg/?cn-reloaded=1

Hier gibt’s auch einen kleinen Film der Abendschau.

Mich erinnert das an eine entfernte Verwandte des Kiezdrachens. Die Drächin Futura tauchte 1987 in den Berliner Straßen auf. Manche Demo hat sie bestritten, wie die gegen Tschernobyl.

Lang hat sie durchgehalten, doch am 14. August 2015 fand dann ein würdiger Abschied im Regenbogenhof statt: Die Drächin FUTURA wurde von ihren Schöpferinnen nach fast 30 Jahren, in denen sie Begleitung bei mancher Demo war, auseinandermontiert und verbrannt. Von alten Zeiten wurde erzählt und neue Lieder ihr zu Ehren gesungen.

chz

2021 | Erinnerung an den Februar

Veranstaltungsreihe im Februar 2021

Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht
bleibt ja doch nur eins: die Zeit.

Pünktlich holt sie aus der Truhe
falschen Bart und goldnen Kram.
Pünktlich sperrt sie in die Truhe
Sorgenkleid und falsche Scham.

In Brokat und seidnen Resten,
eine Maske vorm Gesicht,
kommt sie dann zu unsren Festen.
Wir erkennen sie nur nicht.

Bei Trompeten und Gitarren
drehn wir uns im Labyrinth
und sind aufgeputzte Narren
um zu scheinen, was wir sind.

Unsre Orden sind Attrappe.
Bunter Schnee ist aus Papier.
Unsre Nasen sind aus Pappe.
Und aus welchem Stoff sind wir?

Bleich, als sähe er Gespenster,
mustert uns Prinz Karneval.
Aschermittwoch starrt durchs Fenster.
Und die Zeit verläßt den Saal.

Pünktlich legt sie in die Truhe
das Vorüber und Vorbei.
Pünktlich holt sie aus der Truhe
Sorgenkleid und Einerlei.

Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht,
bleibt uns doch nur eins: die Zeit.

Erich Kästner, der übrigens an einem 23. Februar geboren wurde.

Schnee ist schön, kommt aber nicht immer. 2001 war es ganz anders.

Februar 2001

Foto 2001: Archiv Regenbogenfabrik

Beitrags-Foto vom 8.2.2021: Christine Stuttmann

16.1.1972 | Vor fünfzig Jahren wurde die Anrede „Fräulein“ per Erlass des Innenministeriums aus dem Sprachgebrauch verbannt

Diese Nachricht hatte ich aus der taz gefischt. Zeitung lesen macht einfach Spaß!

Und war gleich in meine Jugendzeit zurückgebeamt. Das war mir präsent, als wäre es gestern gewesen: Meine erste Post von der Krankenkasse war mit Fräulein adressiert. Uh, ich war so sauer. Und tatsächlich hab ich mir die Mühe gemacht und hingeschrieben: „Wenn Sie an meinen Bruder mit Herrlein den Brief beginnen würden, ich nähme das Fräulein an.“
Der nächste Brief war dann tatsächlich mit Frau geschrieben, nur zum Herrlein ist es nie gekommen.

Der taz-Artikel lehrt mich, dass ich in der österreichischen Schriftstellerin und Feministin Franziska von Kapff-Essenther ein engagiertes Vorbild hätte finden können. Die hatte sich schon 1871 darüber aufgeregt. Weiter heißt es im Artikel von Lenard Brar Manthey Rojas:

„Erst ab 1972 wurde der Begriff „Fräulein“ gänzlich aus der Sprache der Ämter gestrichen. Die Formulierung, die durch die Verkleinerungsfrom „-lein“ immer auch ein wenig so wirkte, als würde man sich gerade mit einem kleinen Mädchen unterhalten und nicht mit einer erwachsenen Person, wurde damals als nicht mehr zeitgemäß empfunden.“

Ich erinnere mich aber auch daran, dass so manche Lehrerin auf ihrem Titel „Fräulein“ sogar stolz bestand. Stolz darauf, den Beruf über alles andere zu stellen. Das greift allerdings auch auf Zeiten zurück, in denen Frauen den Lehrberuf aufgeben mussten, wenn sie heirateten.
Mehr dazu in einem Wikipedia-Artikel über das Lehrerinnenzölibat.

Heute ist Fräulein nur noch als lustig gemeinte Referenz an alte Zeiten eingesetzt. Schau ich mich im benachbarten Neukölln um, dann wird heute der Schnaps oder das Eis vom Fräulein angeboten, aber nicht von einem Herrlein vermarktet. Soweit kommts noch.

Interessant die Schlussfolgerung des taz-Autoren:

„Wenn von Gleichstellung im Sprachgebrauch und dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Frau die Rede ist, drängen sich Überschneidungen mit aktuellen Debatten geradezu auf. In gewisser Weise war dieser Erlass von 1972 ein Schritt hin zu dem, was wir heute gendergerechte Sprache nennen. Von diesem Tag an war es für die Anrede in Behörden gleichgültig, ob eine Frau verheiratet war oder nicht. Dabei hat man doch derzeit in manchen Diskussionen den Eindruck, als wäre Sprache in Ämtern noch niemals seit Gründung der Bundesrepublik verändert worden.
All jene, die beispielsweise in Gender-Diskussionen mit dem Argument „das hat es noch nie gegeben“ jegliche Veränderung der Sprachform als ungeheuerliche Erscheinung bezeichnen, werden zugeben müssen, dass nicht erst mit dem Gender-Sternchen unsere Ausdrucksweisen einem Wandel unterliegen. Man denke in diesem Falle also einfach an das Wort „Fräulein“, das eines Tages aus den Behörden verschwand.“

Also: fröhlich Gendern üben!

chz

Der Monat der Held:innen

Im Black History Month erinnern Schwarze Initiativen an das koloniale und rassistische Erbe. Ein neuer Förderfonds unterstützt Projekte der afrodiasporischen Communitys. Nachzulesen in der taz am 1. Februar 2022.

Der Black History Month wird jeden Februar in Deutschland, Canada und USA begangen. Klar ist, das ist ein Anstoß, ein Auftakt. Um aufzuholen in Sachen Würdigung Schwarzer Leben braucht es viele Black History Jahre. Wer Ausschau halten möchte, was der Monat in Berlin so bereithält, wird auf der Seite des Vereins EOTO e.V. fündig:
https://www.eoto-archiv.de/neuigkeiten/black-ourstory-month-2022/

Schaut: Aus HIStory wird hier OURstory, um Hetero- und Cis-Normativität sprachlich wie konzeptuell auszuhebeln und den Februar zu einem besonderen Monat für wirklich ALLE Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Communities zu machen.

Pünktlich zum Start des Black Ourstory Month am 01. Februar 2022 von 18-20 Uhr geht der May Ayim Fonds mit einer Infoveranstaltung an den Start!

Wir stellen euch den May Ayim Fonds vor und geben euch alle wichtigen Informationen zu den Förderrichtlinien, zur Bewerbung und zur Förderung selbst, damit ihr eure Projektideen schon bald umsetzen könnt. Neben der Vorstellung des Fonds erwarten euch außerdem: der Launch unserer Website, ein spannendes Panel mit dem Thema „Schwarze politische Bildungsarbeit und Empowerment“ sowie eine Überraschungspremiere. Hier könnt ihr euch zur Online-Veranstaltung anmelden und dabei sein, wenn der May Ayim Fonds in die erste Bewerbungsphase geht:
https://www.eventbrite.com/e/auftakveranstaltung-des-may-ayim-fonds-tickets-255444008907?keep_tld=1

Nehmen wir das zum Anlass, um ins Gedächtnis zu rufen, wer May Ayim war. Der Name ist in Kreuzberg sicher schon vielen geläufig, denn parallel zur Spree, zwischen der Pfuelstraße bis zur Oberbaumstraße wurde die Straße nach ihr benannt. Das Ufer, 1891 angelegt und 1895 anlässlich der bevorstehenden „Kolonialausstellung“ im nahen Treptower Park mit einer aufwendig gestalteten Anlegestelle versehen, war ursprünglich nach einem Kolonialisten benannt. Auf Anregung der Initiative Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag, die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufgegriffen wurde, beschloss die Friedrichshain-Kreuzberger BVV im Frühjahr 2009, das Gröbenufer nach der antirassistischen Aktivistin und Dichterin May Ayim (1960–1996) umzubenennen.

Ihr kurzes Leben war kein einfaches!

May Ayim wird am 3. Mai 1960 in Hamburg als Tochter eines ghanaischen Vaters und einer weißen deutschen Mutter geboren. Sie wächst in einer weißen Pflegefamilie auf. Diese Erfah­rung prägt sie, macht sie stark und verletzlich zugleich, schärft ihren Blick für Brüche und Ungereimtheiten: „Der Umstand, nicht untertauchen zu können, hat mich zur aktiven Ausein­andersetzung gezwungen, die ich als […] besondere Herausforderung zur Ehrlichkeit empfinde.“ Sie beginnt zu schreiben, zu forschen und sich politisch zu engagieren.

Als Dichterin und Sprachtherapeutin ist May Ayim mit den verschiedenen Aspekten von Sprache vertraut – auch mit der Gewalt, die sich in und über Sprache ausdrückt. Als Pädagogin und politische Aktivistin setzt sie sich mit unterschiedlichen Dimensionen von Gewalt – auch ausgeübt in und über Sprache – auseinander und zeigt neue Wege auf. Ihre Interessen und Ausrichtungen sind breit gefächert. 1985/86 gründet sie gemeinsam mit anderen Afrodeutschen die bundesweite Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). 1989 ist sie eine der Mitgründerinnen des LiteraturFrauen e.V. 1991 tritt sie dem Verband deutscher Schriftsteller:innen bei. Ihre Diplomarbeit in Pädagogik beschäftigt sich mit Schwarzer deutscher Geschichte und wird zur Grundlage der bis heute wegweisenden Veröffentlichung „Farbe bekennen“.

Ihre Abschlussarbeit als Logopädin schreibt sie über Rassismus und Sexismus in der Therapie.

Anfang der 1990er Jahre wird May Ayim auch international als Dichterin, Wissenschaftlerin und politische Aktivistin bekannt. Sie erhält Einladungen zu Lesungen und Konferenzen, steht im Austausch mit Autor:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen im In- und Ausland.
Ihre Gedichte bewegen viele Menschen, ihre politische Arbeit vereint schwarze feministische Gesellschaftskritik und die Vision solidarischer Bündnisse. Als sie schwer erkrankt und nicht mehr schreiben kann, bricht ihr Lebenswille. Ihr Tod am 9. August 1996 ist ein großer Verlust.
Bild und Text aus: https://verwobenegeschichten.de/menschen/may-ayim/

Soll nun May Ayim hier nochmal selber zu Wort kommen:

nachdem sie mich erst anschwärzten
zogen sie mich dann durch den kakao
um mir schließlich weiß machen zu wollen
es sei vollkommen unangebracht
– schwarz zu sehen
(“exotik”, 1985)

„Ich wieder trotzdem/afrikanisch/sein/auch wenn ihr/mich gerne/deutsch/haben wollt/und werde trotzdem/deutsch sein/auch wenn euch/meine schwärze/nicht passt“
(grenzenlos und unverschämt, 1990)

chz