16.1.1972 | Vor fünfzig Jahren wurde die Anrede „Fräulein“ per Erlass des Innenministeriums aus dem Sprachgebrauch verbannt

Diese Nachricht hatte ich aus der taz gefischt. Zeitung lesen macht einfach Spaß!

Und war gleich in meine Jugendzeit zurückgebeamt. Das war mir präsent, als wäre es gestern gewesen: Meine erste Post von der Krankenkasse war mit Fräulein adressiert. Uh, ich war so sauer. Und tatsächlich hab ich mir die Mühe gemacht und hingeschrieben: „Wenn Sie an meinen Bruder mit Herrlein den Brief beginnen würden, ich nähme das Fräulein an.“
Der nächste Brief war dann tatsächlich mit Frau geschrieben, nur zum Herrlein ist es nie gekommen.

Der taz-Artikel lehrt mich, dass ich in der österreichischen Schriftstellerin und Feministin Franziska von Kapff-Essenther ein engagiertes Vorbild hätte finden können. Die hatte sich schon 1871 darüber aufgeregt. Weiter heißt es im Artikel von Lenard Brar Manthey Rojas:

„Erst ab 1972 wurde der Begriff „Fräulein“ gänzlich aus der Sprache der Ämter gestrichen. Die Formulierung, die durch die Verkleinerungsfrom „-lein“ immer auch ein wenig so wirkte, als würde man sich gerade mit einem kleinen Mädchen unterhalten und nicht mit einer erwachsenen Person, wurde damals als nicht mehr zeitgemäß empfunden.“

Ich erinnere mich aber auch daran, dass so manche Lehrerin auf ihrem Titel „Fräulein“ sogar stolz bestand. Stolz darauf, den Beruf über alles andere zu stellen. Das greift allerdings auch auf Zeiten zurück, in denen Frauen den Lehrberuf aufgeben mussten, wenn sie heirateten.
Mehr dazu in einem Wikipedia-Artikel über das Lehrerinnenzölibat.

Heute ist Fräulein nur noch als lustig gemeinte Referenz an alte Zeiten eingesetzt. Schau ich mich im benachbarten Neukölln um, dann wird heute der Schnaps oder das Eis vom Fräulein angeboten, aber nicht von einem Herrlein vermarktet. Soweit kommts noch.

Interessant die Schlussfolgerung des taz-Autoren:

„Wenn von Gleichstellung im Sprachgebrauch und dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Frau die Rede ist, drängen sich Überschneidungen mit aktuellen Debatten geradezu auf. In gewisser Weise war dieser Erlass von 1972 ein Schritt hin zu dem, was wir heute gendergerechte Sprache nennen. Von diesem Tag an war es für die Anrede in Behörden gleichgültig, ob eine Frau verheiratet war oder nicht. Dabei hat man doch derzeit in manchen Diskussionen den Eindruck, als wäre Sprache in Ämtern noch niemals seit Gründung der Bundesrepublik verändert worden.
All jene, die beispielsweise in Gender-Diskussionen mit dem Argument „das hat es noch nie gegeben“ jegliche Veränderung der Sprachform als ungeheuerliche Erscheinung bezeichnen, werden zugeben müssen, dass nicht erst mit dem Gender-Sternchen unsere Ausdrucksweisen einem Wandel unterliegen. Man denke in diesem Falle also einfach an das Wort „Fräulein“, das eines Tages aus den Behörden verschwand.“

Also: fröhlich Gendern üben!

chz