Geburtstagskind des Tages – Leonie

1. Seit wann bist bzw. von wann bis wann warst Du hier und in welchem Bereich?

Ich wohnte von 1999 bis 2019 im Hinterhaus der Regenbogenfabrik und arbeite seit 2006 im Bereich Öffentlichkeit (Wahnsinn, wie doch die Zeit vergeht).

2. Welches ist Dein Lieblingsort auf der Fabrik?

Der Hof! Dort findet viel Austausch statt; mensch trifft auf die unterschiedlichsten Leute – ich erinnere mich immer sehr gern an die diversen Feste.

3. Mit einem Wort: Was ist die Fabrik für Dich?

Buntes Leben pur (sorry, 3 Wörter 🙂 )

4. Lieblingsessen in der Kantine?

Da gab es mehrere – und des öfteren hab ich mir für abends dort was geholt.
Hm, mal überlegen: Spinatlasagne…. Kroketten mit Gorgonzolasoße und Pollo… – ach, da gab es schon noch einiges mehr.
Auf alle Fälle: Immer sehr lecker!

5. Was wünschst Du der Fabrik zum Geburtstag?

Ich wünsche ihr und uns, dass sie lange lebt und überlebt! Es sollen immer wieder neue Leute kommen, die der Fabrik gut tun und sie mit ihren Ideen / Vielfältigkeiten / Enthusiasmus schützen.

Tag der Menschen mit Behinderungen

In Wikipedia steht:
Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember jedes Jahres (veraltend: Internationaler Tag der Behinderten) ist ein von den Vereinten Nationen ausgerufener Gedenk- und Aktionstag, der das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Probleme von Menschen mit Behinderung wachhalten und den Einsatz für die Würde, Rechte und das Wohlergehen dieser Menschen fördern soll.

Nachdem die Vereinten Nationen das Jahr 1981 als das „Internationale Jahr der Behinderten“ gefeiert hatten, wurde im Dezember 1982 ein Aktionsplan für die Belange behinderter Menschen entwickelt. Die Jahre 1983 bis 1993 wurden zum „Jahrzehnt der behinderten Menschen“ ausgerufen.

Zum Abschluss der Dekade verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 62/127, in der der 3. Dezember als „Internationaler Tag der Behinderten“ (International Day of Disabled Persons) ausgerufen wurde. Er wurde erstmals im Jahr 1993 begangen.

Im Dezember 2007 wurde der Gedenktag zum „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“ (International Day of Persons with Disabilities) umbenannt.

Die „Bandera de la Superaciòn y la Discapacidad“ („Flagge der Überwindung und der Behinderung“) als Symbol für Menschen mit Behinderungen

Am 3. Dezember 2017 stellte Eros Recio, der erste professionelle Tänzer mit Down-Syndrom, den Vereinten Nationen die Bandera de la Superación y la Discapacidad (wörtlich übersetzt: „Flagge der Überwindung und der Behinderung“) vor. Die quergestreifte Trikolore in den Farben Gold, Silber und Bronze ist von der Medaillenverleihung bei Paralympischen Spielen inspiriert.

Der Wandel der Wortwahl ist sprachhistorisch aufschlussreich: In den 1980er Jahren wurde die Substantivierung Behinderte(r) zunehmend als diskriminierend empfunden. Auch die Neuformulierung behinderter Mensch / behinderte Menschen geriet, vor allem nach der Jahrtausendwende, in die Kritik, da der Begriff die betreffenden Menschen zu sehr auf ihr „Behindert-Sein“ reduziere. Aktuell wird der Begriff Mensch(en) mit Behinderung(en) von der Mehrheit der Deutsch Sprechenden und Schreibenden bevorzugt, wobei es einen Trend gibt, das Wortfeld Behinderung durch das Wortfeld Beeinträchtigung zu ersetzen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Tag_der_Menschen_mit_Behinderungen

Soviel zu Wikipedia :).

Hier kommt nun mein persönliches Statement…

Aufgrund Sauerstoffmangels kam ich mit einer Tetrapastik und einhergehenden Spracheinchränkungen auf diese oft merkwürdige Welt und wuchs mit meinem Bruder bei meiner Mutter auf. Die Kindergarten- und Grundschulzeit erlebte ich in einem Gebäudekomplex – damals hieß es Sonderschule (auch so ein merkwürdiges Wort!) – für Kinder mit körperlichem Handicap, denn zu dieser Zeit steckte die Integration (heute: Inklusion) noch in den Kinderschuhen.
Meine Mutter lernte Mitte der 80er Jahre eine Professorin für EWI an der TU Berlin kennen, woraus schon bald eine gute Bekanntschaft entstand.
Sie gab ihren Student:innen auf Lehramt sehr viele Tipps zum integrativen Unterricht; ich fuhr auch auf eine Reise nach Bologna mit: In Italien gibt es schon lange keine Sonderschulen mehr und alle Kinder – mit und ohne Behinderungen – werden gemeinsam unterrichtet.
Diese Professorin war auch die Frau, die mir den Weg in die Regelschule (Übergang 6./ 7. Klasse) ebnete – einfach war das wahrlich nicht – zumal mein Bio-Lehrer in einer sehr negativen Art und Weise dazu riet, von dieser Idee abzuweichen. Es würde eh nichts bringen und nur zu Unmut führen – letztendlich würde ich eh wieder zurück kommen!
Ich sagte mir: Ey, Dir werd ichs zeigen!

Denn ich wollte es unbedingt – raus aus der Sonderschule, weg von der Sonderbehandlung und rein ins wahre Leben! Dafür brachte ich alle Kraft auf und mit der großen Unterstützung meiner Mutter und der Professorin schaffte ich dieses durchaus große Projekt.
Darauf bin ich sehr stolz – und sehr dankbar!
Denn so lernte ich schon früh Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein, was mir heute sehr zugute kommt: Bereits mit 20 zog ich in meine erste Wohnung und lebe hoffentlich bis ich sterbe eigenverantwortlich alleine – damit dies gelingt, bekomme ich täglich Assistenz.

Die Aussage, die/der „Behinderte“, ist für mein persönliches Empfinden immer sehr negativ besetzt bzw. ich werde dann auch echt wütend – weil, das heißt, eine/ein sog. „Behinderte:r“ wird allein nur durch dieses Wort auf ein einziges (!) Merkmal beschränkt. Es ist so, als wenn mensch sagt „die/der Große da hinten“ oder „die/der Schwarzhaarige“ oder „die/der Dicke“.
Ein Mensch hat doch so unglaublich viele Facetten, die vielleicht auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar sind, aber sie/ihn doch letztendlich erst charaktermäßig ausmachen.
Warum also diese Reduzierung? …weil es einfach ist? …weil Menschen zu schnell urteilen und überhaupt nicht vorher über ihre Wortwahl nachdenken?

Eine Freundin meinte mal zu mir:
„Deine Mission auf dieser Welt scheint zu sein, den Menschen eine andere Sichtweise auf das Thema ´Behinderung in der Gesellschaft` zu schenken“. Ich dachte mir: Ok, dann mal los…
Im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche ich immer wieder, die Menschen, die mir so im Leben begegnen und bei denen ich diese komische Wortwahl bemerke, auf das Thema aufmerksam zu machen und somit ein kleines bisschen in die „richtige“ Richtung zu (beg)leiten.
Es ist oft eine wirklich harte, mühselige Arbeit.
Umso mehr freue ich mich dann über die Begegnung der ´“anderen und angenehmen Art“ von Menschen, denen ich so etwas alles nicht näherbringen muss.
Das Thema ist durchaus anstrengend und manchmal fehlt mir auch der Antrieb innerhalb dieser Auseinandersetzung mit Menschen.

Puh, ich könnte jetzt noch viel mehr schreiben, aber ich schicke jetzt mal die Leser:innen auf ihre eigene Reise, sich mit dem Thema „Behinderung“ auseinanderzusetzen und von nun an vielleicht mit anderem Blickwinkel durch die bunte Welt der Vielfalt zu gehen…

Ich hoffe, es gelingt :).

Leonie

Der Kanal

Als ich noch im Hinterhaus gewohnt habe – also bis Ende April 2019 – mochte ich es total, aus der großen Tür herauszukommen, nach rechts abzubiegen und so zum Kanal zu gelangen. Anfangs gab es hierhin noch keinen unmittelbaren Zugang, so dass mensch entweder immer erst nach links zur Ohlauer Straße oder nach rechts bis zur Mariannenstraße laufen/fahren musste, bevor der Uferweg erreicht werden konnte. – das fand ich immer etwas nervig!
Doch dann wurde dank einer Anwohner*innen-Initiative diese Möglichkeit eröffnet. Keine Ahnung mehr, wie lange es gedauert hat:
Es entstand ein gepflasterter Weg in Form einer relativ langen Kurve, der hinunter zum Uferweg führte. Das war aber nicht alles:
Die Leute pflanzten dort auch viele schöne Blumen und mit der Zeit wuchs dort ein Blumenmeer – so schön! Ich bewunderte die Menschen, die sich liebevoll darum kümmerten. Teilweise waren sie bereits bei meiner morgendlichen Gassirunde ca. um 8:00 Uhr schon voll in action; mit Schubkarre, Gießkannen, etc.
Morgens am Kanal – was kann schöner sein, wenn die Morgensonne scheint?! Oft traf ich Heather und Graham aus dem Haus, die ihrem Frühsport (Joggen/ Meditieren) nachgingen. Aber natürlich auch andere Menschen aus der Nachbarschaft, die die ruhige Morgenstimmung in sich aufsaugten.

Das Wasser spiegelte die Sonne, die großen Weiden am Ufer bewegten sich sanft im Wind… Ohja, so schön sollte jeder Tag starten!

Nicht so schön waren hingegen einige Fahrradfahrer*innen, die meinten, sie müssten in einem Affentempo fahren, sodass der feine Schotterweg total aufgewirbelt wird.
Auf der gegenüberliegenden Seite am Maybachufer entstand vor ca. 13 (oder mehr/weniger?, ich weiß es nicht mehr) Jahren auch ein neuer Weg. Nicht selten fuhr ich so einmal um den Kanal herum.
Wenn ich in der Woche mal frei hatte, fuhr ich natürlich auch zum Wasser und beobachtete kleinere Grüppchen, die vom Paul-Lincke-Ufer in die Lausitzer Straße abbogen. Dachte mir dann: „Die gehen doch bestimmt in unsere Kantine“ – und richtig!
Oft blieben sie in der Toreinfahrt stehen und schauten auf den Aufsteller. Da stand z.B. „Mittagstisch – Grünkernbratlinge mit Tzatziki & Kartoffelpürree und (als 2. Gericht) Szegediner Gulasch“.
So manche Gerichte inspirierten mich, es mir abends zu kochen…

Hoffentlich kann die Kantine bald wieder öffnen, damit die Menschen endlich ihren Anlaufpunkt für leckeres und günstiges Mittagessen zurück bekommen!!!


Ein Regenbogen ist kein Zufall

Ein Regenbogen ist kein Zufall, es ist ein physisches Phänomen aus Wasser und Sonnenlicht.

Aber, dass wir ihn ab und zu beobachten können, ist ein Zufall. Ohne die Sonne gibt’s keine Regenbögen. Aber ohne den Schnee wäre ich kein Teil der Geschichte der Regenbogenfabrik.

Ich stand das erste Mal im März 2001 im Hinterhof der Regenbogenfabrik, als meine Frau und ich aus den USA nach Deutschland gereist sind, um eine Ausstellung in Niedersachsen vorzubereiten. Wir besuchten dann Berlin für eine Woche und Martina wollte mir zeigen, wo sie in den 80er Jahren gewohnt hat – neben dem alten „Eiszeit Kino“ – und ich war neugierig, wie es in der Regenbogenfabrik aussieht, seitdem sie Berlin verlassen hat. Es war abends und ich glaube, es gab zwei Leute in der Holzwerkstatt, hinten wo jetzt die Fahrradwerkstatt steht, wenn ich mich nicht täusche. Martina sprach kurz mit einem Typen unter einem Licht, was über die Tischkreissäge strahlte, ich verstand kein Wort, schaute mich nur um und dann sind wir weiter gegangen. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass die Farbe des Gebäudes, Blau mit den gelben Wegweiser-Schildern mich an unsere Atelier Gebäude in Tucson erinnerte, wo wir uns kennengelernt haben und dass es ein gutes Zeichen ist.

Sie lächelte und nickte mir zu, als wir in Richtung zum nächsten Ort aus ihrer Vergangenheit gingen.

Im Winter 2001 habe ich meine Vergangenheit verlassen, da wir zusammen nach Norddeutschland und dann drei Jahre später nach Berlin gezogen sind. Die Regenbogenfabrik haben wir dann nur ab und zu über die folgenden Jahre besucht, um ins Kino zu gehen. Als ich im Oktober 2009 meinen Musikproberaum, der im Keller des Flughafens Tempelhof war, mit vielen anderen Musikern verloren habe, war ich absolut ratlos, wo ich wieder einen angenehmen und preiswerten Proberaum finden könnte. Nach fast vier Monaten ohne einen Raum, in dem ich Saxophon üben konnte, habe ich die Hoffnung verloren, einen zu finden. Und da ich die Nase voll hatte, immer weiter wie ein Klang-Spion in unserer kleinen Kabine gegen die Bettwäsche und Klamotten zu spielen, mit der Hoffnung, dass ich unsere Nachbarin unten nicht erschrecke, während sie auf ihrem Klo sitzt oder sich die Zähne putzt, habe ich mich entschlossen, einen kleinen Übungsraum oder Klang Closet in unsere Wohnung zu bauen. Und als erfahrener Tischler und Schlosser, mir meinen eigenen Raum in unsere Wohnung zu bauen, wäre relativ einfach zu schaffen. Aber Martina sagte definitiv Nö! Und weil sie mir selten Nö sagte, wusste ich sofort, dass sie ein ernsthaftes Nö meinte:
Kein Proberaum in der Wohnung.

Am nächsten Tag bin ich wieder nach draußen gegangen, um noch einer Anzeige zu folgen, wo ich hoffentlich meinen Rettungsraum, meine Bude fürs endlose Musizieren finden würde, wo die Abwasserrohre und ihr Inhalt nicht mit meinen Tonleiterübungen akustisch reinmischte.

Es war jetzt Ende Januar und es hatte für zwei Tage geschneit und schneite immer noch etwas, als ich aus einem nassen und eiskalten Keller in Friedrichshain geflohen bin. Ein Franzose versuchte, ihn mir als einen schönen, rustikalen Musikraum für eine unglaubliche Summe zu vermieten.

Merci no, sagte ich ihm einfach und bin gegangen. Ich hatte noch einen Termin an den Tag verabredet, um einen anderen Raum anzuschauen, falls dieser alte Fleisch-Lagerraum mir nicht passte. Aber da es anfing, so stark zu schneien, hatte ich keinen Bock mehr und wollte nur schnell nach Hause gehen.

Als ich die zum Teil gefrorene Spree mit Hilfe der Oberbaumbrücke zurück nach Kreuzberg in früher Abenddunkelheit überquerte und mich wieder an diesen Franzosen mit seiner dicken Brille, seinen braunen Zigaretten und seine schamlose Gier erinnerte, ist mir ein Zitat von Mark Twain in meinem Kopf gelandet – „Zivilisation ist die unbeschränkte Vermehrung unnötiger Notwendigkeit.“

Ohne Zweifel stimmt das. Und da ich seit langem schon ein sogenannter zivilisierter Mensch bin, benötige ich natürlich dringend etwas, was mir relativ unnötig ist, nämlich einen Musikproberaum.

Aber weil es mich nicht unbedingt wirtschaftlich, sondern seelisch unterstützt, einigermaßen mit dieser zivilisierten Welt klar zu kommen und nicht in der geistigen Notwendigkeit zu landen, muss ich meinen Beitrag an diese unbeschränkte Vermehrung geben. Manchmal hilft da auch Alkohol.

Und als ich an dem Abend, nachdem ich einen halben Liter Rotwein getrunken habe sowie eine Stunde lang den fallenden Schnee aus unserem Wohnzimmerfenster angeglotzt habe, bin ich fast blau an den PC gewandert, um trotz Zweifel schon wieder im Netz nach einem Proberaum zu suchen.

Aber diesmal, und ich weiß nicht warum, habe ich statt Proberaum, die Suchworte Music Room in Berlin eingegeben.

Es war kein physisches Phänomen, sondern ein reiner Zufall, dass ich auf der Website der Regenbogenfabrik gelandet bin. Die Website sah damals sehr anders aus als heute und ich begann, überall zu klicken, bis ich auf der Seite gelandet bin, wo es tatsächlich auf Englisch stand, Music Room zu vermieten. Ich habe sofort am nächsten Tag dort angerufen und einen Termin mit Astrid gemacht, um den Raum anzuschauen. Den Raum habe ich angeschaut, sagte Ja. Astrid sagte dann ok und im Februar 2010 habe ich den Mietvertrag unterschrieben. Astrid, wie viele andere, die ich über die Jahre dort kennengelernt habe, ist seit langem nicht mehr da. Und manche Mütter, die dort wohnen, tragen ihre Kinder nicht mehr im Bauch, sondern in den Armen und / oder auch neben sich, die schon groß genug sind, sich selbst auf den Spielplatz zu bringen, als auch sich um die Jüngeren zu kümmern.

Das erste Mal, dass ich hier öffentlich gespielt habe, war 2012 bei der Geburtstagsfeier von Anette. Über die letzten drei Jahre bin ich auch solo und mit kleineren Formationen im Kino und im Café aufgetreten, was mir viel Spaß gemacht hat und freue mich, es wieder in der Zukunft machen zu können.

Ein älterer Musiker hat mir einmal gesagt, dass es ein Zufall ist, sympathische Musiker zu finden, mit denen man eine gute Band gründen kann. Anscheinend gilt es auch für Übungsräume.

Also, ich bin noch im Keller der Regenbogenfabrik. Und ich danke!

– Blair A. Martin, Mai 2021