in memoriam – Karl Köckenberger

Karl lebte 30 Jahre im Wohnhaus der Regenbogenfabrik, von 1981 bis 2011. Tatsächlich vom 14. März an, er war also einer der Erstbesetzer. In dieser Zeit war er Auszubildender bei Krupp Stahlbau und über diese berufliche Situation auch Mitglied der IG Metall Berlin geworden. Aktiv wurde er dort auf verschiedenen Ebenen, unter anderem auch in der Handwerksjugendgruppe. Und gemeinsam mit dieser stürzte er sich ins Abenteuer Hausbesetzung.

Mitgedacht und mitgemacht in so vielfältiger Weise: planen, bauen, Kinder großziehen. Demonstrieren, träumen, weiterwachsen. Denken und handeln lokal und global. Nicht nur im Kiez in der Wohnungspolitik mitmischen, sondern auch internationale Solidarität mit Nicaragua leben. Neue Formen des Zusammenlebens entwickeln und Verantwortung übernehmen in Betrieb und Gesellschaft.

Und dann die Einräder! Wer hätte gedacht, dass aus der kleinen Gruppe von Nachbarskindern, die sich im Hof trafen, um Einradfahren zu üben, mal ein ganzer Kinderzirkus entstehen würde, in dem täglich hunderte Kindern trainieren und sich dabei selbst erfahren und daran wachsen. An diese Wirkung hat Karl im ersten Moment sicher auch nicht gedacht, aber es gab in seinem Leben dieses Trotzdem-Vertrauen aufs Unsichere das Hilde Domin auf die Formel gebracht hat: „Ich setzte den Fuß in die Luft, / und sie trug.“

https://regenbogenfabrik40.blog/2021/07/10/geburtstagskind-des-tages-karl-kockenberger/

https://cabuwazi.de/2023/12/07/in-erinnerung-an-karl-koeckenberger/

https://www.erinnernankarl.de/

2001 | Interview mit Marten

von Ewa Maria Slaska

Marten gehört zu der Gruppe, die am 14. März 1981 das Haus und die Fabrik besetzte.

Geboren 1949, Akademiker, mit nicht abgeschlossenem Studium als Germanist und Politologe an der FU. Er kam 1971 nach Berlin, angezogen von der „magischen Kraft“, die diese Stadt vor allem die Freie Universität und insbesondere der „OSI“ – Otto-Suhr-Institut, aber auch der sich in Kreuzberg allmählich aufbauende alternative Lebensstil, auf alle politisch engagierten Menschen der Bundesrepublik ausübte.

Er studierte an der FU, arbeitete als Betreuer im Knast und in Jugendprojekten: allesamt Aufgaben, die dem Geist der Zeit entsprachen, genauso wie die Ausbildung zum Erziehen, die er nach Abbruch des Studiums absolvierte.

Man versuchte, die neuen Lebensformen zu entwickeln und dazu gehörte, dass die Männer die sog. Frauenberufe ausüben sollten und umgekehrt.

Marten meint, dass ein anderes, ebenso wichtiges Merkmal dieser Zeit die verschiedenen kommunenartigen Wohnformen waren. Er wohnt zuerst, noch in seiner Heimatstadt Braunschweig, in einer der ersten Wohngemeinschaften, die es dort gab, dann in Berlin in einem Studentenwohnheim und wieder in einer WG in Kreuzberg. So bildete das Zusammenleben mit einer Gruppe in einem besetzten Haus eine durchaus natürliche Entwicklungsstufe des gesellschaftlichen Miteinanders, die es zu erproben galt.

Fast sofort begann er Pläne für das breitangelegte Kinderbetreuungsprogramm mit zu entwickeln, wie z.B. einen Jugendklub für die türkischen Jugendlichen aus der Nachbarschaft. Diese waren 12 bis 18 Jahre alt, zu alt also für die Kita. So ist der „FC Regenbogen“ entstanden, der fabrikeigene Fußball Club.
Bevor er in der Kita arbeitete, machte er ein Praktikum in einem Projekt für Schüler aus sozial benachteiligten Milieus und bekam später eine ABM-Stelle in der Jugendkulturarbeit.

Wie es aber in der Fabrik typisch ist und zu dem alternativen Lebensstil gehört, bleibt man nie bei einer Beschäftigung auf Lebenszeit, sondern probiert neue Formen und neue Betätigungsfelder aus. So ist er nach fünf Jahren Arbeit in der Kita ins kalte Wasser gesprungen: in die Organisation des Kinderkinos; eine Arbeit, die er bis heute macht.

In dieser Zeit hat er sich mit Susanne befreundet, sie waren ineinander verliebt, zogen zusammen, alle fünf: Susanne, ihre zwei Töchter, er und seine Tochter. Sie haben einen gemeinsamen Sohn und wohnen immer noch zusammen, obwohl einmal auch eine Trennung eintrat und sie alle beide mit jemand anderem liiert sind.

Marten gehört zum Vorstand der Regenbogenfabrik und arbeitet im Team des RegenbogenKinos.

Ich habe die Gelegenheit gehabt, Marten und seine Freundin Chris besser als viele andere in der Fabrik kennenzulernen, weil sie zu der „Arbeitsgruppe CD“ gehörten. Chris ist eine fröhliche Persönlichkeit, Marten eher nachdenklich.

Ich hatte immer das Gefühl, er sei ein ausgeglichener, glücklicher Mensch. Auch glücklich verliebt. Ich habe jedoch nicht gefragt. Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich stelle diese Frage lieber den Frauen als den Männern. Man wusste aber, dass ich kreuz und quer und über die Fabrik laufe und stets frage: Bist du glücklich?

Es war Marten, der mir nach unserem Gespräch, als ich schon gehen wollte, sagte: „Warum fragst Du mich nicht, ob ich glücklich bin? Ich bin glücklich. Ich habe alles, was ich zum Leben brauche in und durch die Fabrik bekomme: Arbeit, Geld und Beziehung.“

2001 | Interview mit Anette

von Ewa Maria Slaska

Anette, Erziehungswissenschaftlerin, meint, dass die Teilnahme an der Besetzung des Hauses und der Fabrik in der Lausitzer Straße nicht nur die Entscheidung war, die ihr Leben bestimmte, sondern auch, dass es für sie die beste Entscheidung ihres Lebens war.
„Mit meiner Entscheidung bin ich glücklich. Ganz viel von meinem Leben ist mit der Regenbogenfabrik verknüpft.“

Sie war aktiv in der BI (Bürgerinitiative BI SO36), die sich gegen „Kahlsanierung“ und bürgerfremde Baupolitik engagierte. Plötzlich ging es ganz schnell: Am Mittwoch, den 11.3.1981 wurde der BI bekannt, dass der Senat am Montag mit den Immobilienspekulanten Vogel und Braun einen Vertrag unterschreiben wollte und damit die Fabrikgebäude in der Lausitzer Straße zum Abriss freigegeben wäre. Daraufhin traf sich am Donnerstag die Gruppe der Besetzer und schon zwei Tage später, am Samstag, ist besetzt worden.

Doch im September 1981 kam es zu einem vom benachbarten Kiosk angestifteten Angriff der Neonazis und einem Brandanschlag. Die Arbeit vieler Monate lag brach, viel schlimmer aber war die Tatsache, dass die latente Bedrohung Wirklichkeit wurde. Dies zwang zum Überdenken bisheriger Entscheidungen.

Anette kann sich sehr gut an diese Nacht und ihre Gefühle erinnern. Ihre Tochter Jenny „war gerade mal drei Monate alt“, schrieb sie später in ihrer Magisterarbeit.

„Nicht das Haus brannte, sondern die Fabrik, aber wir wussten nicht, ob das Feuer auf das Haus übergreifen würde. Die Feuerwehr kam Ewigkeiten nicht und hilflos mussten wir zusehen, wie all unsere Träume und Hoffnungen in Rauch und Feuer aufzugehen drohten. Zähneklappernd, wütend und verzweifelt stand ich da, barfuß, in Jeans und T-Shirt, mit meinem Baby im Arm.
Tage später, als der Schock langsam nachließ, wusste ich nicht, ob die Gefahr, in der Regenbogenfabrik wohnen zu bleiben, nicht zu groß war. Ich entschloss mich zu bleiben, so wichtig waren mir das Projekt und die Leute in dem halben Jahr geworden. In den folgenden Jahren der quälenden unsicheren Projektsituation, die mehrmals fast das Aus bedeutet hatte, erinnerte ich mich immer wieder an diese eine Nacht:

Sie wurde mir zur Motivation für mein sämtliches Engagement für das Projekt, egal wie aussichtslos alles schien – es durfte nicht alles umsonst gewesen sein …

Und es war „nicht alles umsonst“.
Wenn das Projekt heute besteht und auch blüht, ist es gerade der Gruppe derer zu verdanken, die sich damals fürs Bleiben und Verhandeln entschlossen haben. Anette ist eine der wichtigsten „Verhandlerinnen“ geworden, die jahrelangen Verhandlungen mit dem Berliner Senat, den Eigentümern und dem Bezirksamt führte. In gewisser Weise tut sie das noch heute, verhandeln für den Erhalt der Regenbogenfabrik, wenn auch die Partner heute Arbeitsamt, Servicegesellschaft oder Stiftung heißen. Sie arbeitet weiterhin in der Fabrik und wohnt im Haus.

Ihr Engagement im Kiez setzte ihrem Studium an der Uni erstmal ein Ende, das wahre Leben war wichtiger geworden als alle Theorie. Aber nach neun Jahren Aktion und vielen Kämpfen wurde der Wunsch nach Reflexion wieder wichtiger. Anette begann, wieder zu studieren und beendete ihr Studium 1993 mit der Magisterarbeit „Das Kinder-, Kultur- und Nachbarschaftszentrum in Berlin-Kreuzberg. Soziale Einrichtung oder sozialer Lebensraum? Eine Projektgeschichte“, in der sie neun Jahre Regenbogenfabrik aus einer „unorthodoxen“ persönlichen Sicht beschrieben hat.

2007 | Für Anette zum 50. Geburtstag

Lustig, lustig, ihr lieben Brüder,
leget eure Sorgen nieder,
trinkt dafür ein warmes Becks,
trinkt dafür ein warmes Becks.

Auf die G´sundheit aller Schwestern
Seid nicht traurig über gestern!
Heut soll große Party sein!
Heut soll große Party sein!

Lustig lebt in Saus und Brause,
Weil wir jetzo sind am Schmause!
Arbeit drücket heut nicht viel!
Arbeit drücket heut nicht viel!

Geld gib´s ja in Hüll und Fülle,
Alles nehmen ist unser Wille,
Der Fabrik soll es halb sein!
Und für dich soll es halb sein!

Ei, was hast du hier geschaffen,
Vogel/Braun konnt nimmer raffen,
Weg wer kommanditieren will!
Weg wer kommanditieren will!

Wir sind alle freie Leute,
was uns sicher nie gereute,
Konsens das ist gut und recht,
Konsens das ist gut und recht.

Schlagt die Fässer ein, laßt´s laufen!
Jetzo heißt es tapfer saufen –
`s nächste Plenum kommt bestimmt!
`s nächste Plenum kommt bestimmt!

Mit diesem Lied auf die Melodie eines Gesellenliedes zeigten sich auch deutsche Handwerker mit der Pariser Commune solidarisch – auch auf die Gefahr hin, selbst eingekerkert zu werden.

Die Pariser Kommune des belagerten Paris markierte sozialgeschichtlich den Beginn einer neuer Epoche. Nach Sebastian Haffner ging es dabei zum ersten Mal um Dinge, um die heute in aller Welt gerungen wird: Demokratie oder Diktatur, Rätesystem oder Parlamentarismus, Sozialismus oder Wohlfahrtskapitalismus, Säkularisierung, Volksbewaffnung, sogar Frauenemanzipation – alles das stand in diesen Tagen plötzlich auf der Tagesordnung.
Aus diesen Gründen wird die Zeit der Pariser Kommune verschiedentlich auch als ein Manifestationspunkt der Moderne bezeichnet. (Schnell mal bei Wikipedia rausgefischt.)

Kleine Umdichtungen durch: Christine, Hilde, Willi, Brigitte, Mimi, Jonny, Maria, Andrea, Dorothea, Anette, Christine, Maja

Foto: Ulla Tasrini