von Ewa Maria Slaska
Anette, Erziehungswissenschaftlerin, meint, dass die Teilnahme an der Besetzung des Hauses und der Fabrik in der Lausitzer Straße nicht nur die Entscheidung war, die ihr Leben bestimmte, sondern auch, dass es für sie die beste Entscheidung ihres Lebens war.
„Mit meiner Entscheidung bin ich glücklich. Ganz viel von meinem Leben ist mit der Regenbogenfabrik verknüpft.“
Sie war aktiv in der BI (Bürgerinitiative BI SO36), die sich gegen „Kahlsanierung“ und bürgerfremde Baupolitik engagierte. Plötzlich ging es ganz schnell: Am Mittwoch, den 11.3.1981 wurde der BI bekannt, dass der Senat am Montag mit den Immobilienspekulanten Vogel und Braun einen Vertrag unterschreiben wollte und damit die Fabrikgebäude in der Lausitzer Straße zum Abriss freigegeben wäre. Daraufhin traf sich am Donnerstag die Gruppe der Besetzer und schon zwei Tage später, am Samstag, ist besetzt worden.
Doch im September 1981 kam es zu einem vom benachbarten Kiosk angestifteten Angriff der Neonazis und einem Brandanschlag. Die Arbeit vieler Monate lag brach, viel schlimmer aber war die Tatsache, dass die latente Bedrohung Wirklichkeit wurde. Dies zwang zum Überdenken bisheriger Entscheidungen.
Anette kann sich sehr gut an diese Nacht und ihre Gefühle erinnern. Ihre Tochter Jenny „war gerade mal drei Monate alt“, schrieb sie später in ihrer Magisterarbeit.
„Nicht das Haus brannte, sondern die Fabrik, aber wir wussten nicht, ob das Feuer auf das Haus übergreifen würde. Die Feuerwehr kam Ewigkeiten nicht und hilflos mussten wir zusehen, wie all unsere Träume und Hoffnungen in Rauch und Feuer aufzugehen drohten. Zähneklappernd, wütend und verzweifelt stand ich da, barfuß, in Jeans und T-Shirt, mit meinem Baby im Arm.
Tage später, als der Schock langsam nachließ, wusste ich nicht, ob die Gefahr, in der Regenbogenfabrik wohnen zu bleiben, nicht zu groß war. Ich entschloss mich zu bleiben, so wichtig waren mir das Projekt und die Leute in dem halben Jahr geworden. In den folgenden Jahren der quälenden unsicheren Projektsituation, die mehrmals fast das Aus bedeutet hatte, erinnerte ich mich immer wieder an diese eine Nacht:
Sie wurde mir zur Motivation für mein sämtliches Engagement für das Projekt, egal wie aussichtslos alles schien – es durfte nicht alles umsonst gewesen sein …
Und es war „nicht alles umsonst“.
Wenn das Projekt heute besteht und auch blüht, ist es gerade der Gruppe derer zu verdanken, die sich damals fürs Bleiben und Verhandeln entschlossen haben. Anette ist eine der wichtigsten „Verhandlerinnen“ geworden, die jahrelangen Verhandlungen mit dem Berliner Senat, den Eigentümern und dem Bezirksamt führte. In gewisser Weise tut sie das noch heute, verhandeln für den Erhalt der Regenbogenfabrik, wenn auch die Partner heute Arbeitsamt, Servicegesellschaft oder Stiftung heißen. Sie arbeitet weiterhin in der Fabrik und wohnt im Haus.
Ihr Engagement im Kiez setzte ihrem Studium an der Uni erstmal ein Ende, das wahre Leben war wichtiger geworden als alle Theorie. Aber nach neun Jahren Aktion und vielen Kämpfen wurde der Wunsch nach Reflexion wieder wichtiger. Anette begann, wieder zu studieren und beendete ihr Studium 1993 mit der Magisterarbeit „Das Kinder-, Kultur- und Nachbarschaftszentrum in Berlin-Kreuzberg. Soziale Einrichtung oder sozialer Lebensraum? Eine Projektgeschichte“, in der sie neun Jahre Regenbogenfabrik aus einer „unorthodoxen“ persönlichen Sicht beschrieben hat.