Regenbogenfabrik – Zeitzeugin der Geschichte

Als Berlin bis dorthin kam wo wir jetzt sind, was war dann schon da? Eine Ölmühle! Einen derartigen Mühlstein haben wir im Hinterhaus im Keller gefunden, als wir den Boden tieferlegten. Später entstand die Holzfabrik mit ihren dampfgetriebenen Sägen. Bald stand sie nicht mehr alleine auf der Wiese, die Stadt wuchs, erst entlang der Hauptstraßen, dann in den Wohnblöcken. Fabriken und Wohnungen auf verrückte Weise gemischt. Aber doch mit klarer Hierarchie. Am schönsten war die Belle Etage, die große Wohnung im ersten Stock des Vorderhauses. Vielleicht der Wohnort der Fabrikantenfamilie. Drum herum feine Leute. Nach hinten alles kleiner und enger, mehrere Leute in einem Zimmer. Manche teilten sich ein Bett.

Warum erzähle ich das alles? Es naht wieder der Tag des offenen Denkmals. In diesem Jahr findet dieser am 8. September statt.

Der Tag des offenen Denkmals gehört seit 2004 zu unserem Jahresprogramm dazu und wir haben seitdem kein Jahr ausgelassen! Wir laden uns Gäste ein und jede Gruppe in der Fabrik gibt ihren eigenen Beitrag. Oft ist er auch auf das zentrale Motto der städtischen Denkmal-Leute bezogen. Das ist kein Muss, aber oft eine Anregung. Was kann alles Zeitzeuge sein? Für die letzten 43 Jahre wir selber. Gerne erinnern wir an die Freistadt Barackia. Und daran, dass die Fabrik ein Teil der Industriellen Revolution und der Stadtentwicklung war. Berichten können wir hier von Lebens- und Arbeitsbedingungen im Kiez. Von der Industrie zur Klick-Ökonomie. Vom Plumpsklo auf dem Hof bis hin zu wegsanierten Leuten, Stichwort Hype and Hide. Auch die Stolpersteine, die wir 2006 gelegt haben, sind Zeitzeugen!
Berlin wächst über seine alten Grenzen hinaus. Wie das im Verhältnis zu unserem Ort passiert ist, das hat unsere Freiwillige Noellie mit Hilfe von altem Kartenmaterial rekonstruiert. Das werden wir in einer Ausstellung beim Denkmaltag zeigen. Dafür gibt es schon eine Kostprobe hier im Blog:
https://regenbogenfabrik40.blog/2024/04/12/die-regenbogenfabrik-als-zeitmarker-in-der-zeit/

Von 14-18 Uhr laden wir am 08.09.2024 zu Trödel im Hof, zu Musik und Kultur, zu leiblichen Genüssen und Spielen für die Kinder ein. Eine Führung durch das Ensemble, Beginn 15 Uhr, ermöglicht Einblicke in aktuelle Aktivitäten und gibt Gelegenheit zu geschichtlichen Rückblicken. Titel: Vom Plumpsklo auf dem Hof bis „Hype and Hyde“

Ab 16 Uhr freuen wir uns besonders auf das musikalische Programm: Die Tiere.
Sie machen seit 25 Jahren groovende, swingende, schräge, schöne, laute, zarte, funkige Musik mit viel ansteckender Energie. Ihr Repertoire reicht von Klezmer über Südamerikanische Rhythmen bis zu Filmmusik. Ihr Motto lautet: 25 Bläser*innen, 3 Trommler*innen und jede Menge Spaß.

Herzlich willkommen!


Die Regenbogenfabrik als Landmarker in der Zeit

Für den Tag des offenen Denkmal im September mit dem Thema „Zeitzeugen der Geschichte“ dachten wir, es wäre großartig, wenn wir uns in die Vergangenheiten der Stadt und des Viertels Kreuzberg vertiefen könnten, bis wir zur heutigen Version gelangen, die wir kennen. Aber auch die Entwicklung der Regenbogenfabrik im Laufe der Zeit zu sehen. Dank historischer Karten konnten wir etwas über die Zeit und den Bau der Stadt beobachten. Die Kopien der Karten, die wir besitzen, reichen von 1723 bis 1974. In diesem großen Zeitraum können wir einige deutliche Wendepunkte beim Ausbau der Stadt und ihrer Industrialisierung bis hin zu dem, was wir heute kennen, beobachten. Auf jeder Karte befindet sich ein rotes Markierungssymbol, um den Standort der Regenbogenfabrik anzuzeigen und eine Vorstellung von der Ausdehnung Berlins im Laufe der Zeit zu erhalten.

Am Anfang dieser Karten wird deutlich, dass Kreuzberg noch gar nicht existiert und hier nur Felder sind. Dieses Feld nennt sich „Köpenicker Feld“. In diesem Feld wird später ein Teil von Kreuzberg geplant. Die Stadt ist weit weg. Wir bemerken bereits die Anwesenheit des Holzmarktes und des Cottbusser Tores ab 1737, was es leichter macht, sich auf den Karten zu orientieren.

 Diese Karte von 1748 ist die erste Karte, die Berlin maßstabsgetreu darstellt

Pläne werden gemacht, um die Urbanisierung des Gebiets zu planen, das später zu Kreuzberg wird. Wir können auf den Karten gut sehen, wie sich die Entwicklung von Straßen und Wegen abzeichnet, aber der Ort, an dem wir uns befinden, ist immer noch eine Wiese. Am Ende dieses Zeitraums sehen wir, dass die Entwicklung endlich die Lausitzer Straße erreicht hat und die Straßen um uns herum Form annehmen.

In den frühen Karten können wir sehen, wie die Baupläne für das „Köpenicker Feld“ realisiert werden, wodurch im Laufe der Entwicklung die „Luisenstadt“ entstand. Mehrmals ändern sich die Pläne, bis sie zu der Version gelangen, die wir heute kennen. Ab diesem Zeitpunkt wird das Viertel gebaut. Fabriken entstehen, und Kreuzberg wird zu einem der industriellen Stadtviertel. Kreuzberg und die Regenbogenfabrik befinden sich immer noch am Stadtrand. Die Gebäude sind noch ein wenig verstreut, im Gegensatz zur Altstadt, die eher als Wohnviertel gilt und daher viele Gebäude hat.

Auf diesem Bild von 1870 können wir gut die verschiedenen Gebiete sehen, zwischen den Wohngebieten und Arbeits-, Industriegebieten.

Ab diesem Zeitpunkt ist die Gegend endgültig urbanisiert und die Stadt wächst weiter und weiter. Das Straßennetz wird immer größer. Kreuzberg ist zu diesem Zeitpunkt immer noch ein Arbeitsgebiet, aber die Anzahl der Gebäude hat stark zugenommen. Kreuzberg ist ein integraler Bestandteil der Stadt geworden und ist sogar von neuen Bezirken umgeben.

Die Stadt ist in zwei Jahrhunderten enorm gewachsen. Berlin hat sich von einer ziemlich kleinen Stadt, in der eher bürgerliche Menschen und Mitglieder des königlichen Hofes lebten, zu einer multikulturellen und lebendigen Stadt entwickelt. Dieses interessante Kartenmaterial bezeugt die Entwicklung und ein wenig lässt sich so die Geschichte des Viertels durch sie zu verstehen. Kreuzberg wandelt sich von einem als arm betrachteten, am Rande der Stadt gelegenen, stark industriell geprägten Viertel zu einem zentralen, pulsierenden Stadtteil.

Noëllie Laffargue

Aus der Ecke geholt – ein drastisches Erinnerungsstück

Großputz im Kinosaal! Adieu ihr Spinnweben, raus mit angesammeltem Zeug, das keine:r mehr braucht. Alles? Was ist das denn? Weshalb steht hier in der Ecke so ein Ding? Eine offensichtlich über den Flaschen zusammengeschmolzene Getränkekiste? Eingepackt in eine Vitrine? Also doch nicht wegwerfen, ist das irgendwie wichtig?

Nein, nicht wegwerfen! Auch wenn sich keine und keiner mehr an die Ausstellung erinnern kann, in der dieses Artefakt gestanden hat. Da gibt es aber doch noch die arge Erinnerung an den Tag, die Nacht, in der diese „Skulptur“ entstanden ist: 1981, Brand in der Regenbogenfabrik. Hier im Blog hatten wir zum traurigen Jahrestag darüber berichtet:
https://regenbogenfabrik40.blog/2021/09/20/1981-brandanschlag-auf-die-regenbogenfabrik/

Beitragsfoto: Christine Ziegler

2002 | Einweihung der Hostel-Rezeption in den Räumen der ehemaligen Kita

Fast zwanzig Jahre! An diesen schönen Fortschritt in der Entwicklung der Regenbogenfabrik erinnern wir mit einem Artikel aus der Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der Regenbogenfabrik. Also: Nächstes Jahr das Feiern nicht vergessen!

Unsere Rezeption: Aus meiner Erinnerung.

Den Traum vom eigenen Hostel träumten 1997 Thomas und Susanne. Es wurde ausgebaut, umgebaut und mit Betten von Ikea und Billys konnte das „Sleep-Inn“ in den alten Musikübungsräumen mit 18 Betten eröffnet werden. Gemeinsam mit den 18 gesammelten Kuscheltieren konnten also Gäste aus aller Welt die Fabrik kennen lernen.

Die Organisation der Schlafplätze schien anfangs eher eine Nebenbeschäftigung im normalen Fabrikalltag zu sein. Die Gäste konnten im Büro buchen oder sogar bei Susanne zuhause anrufen. Eingecheckt wurde im Café.

Doch solche Gäste aus aller Welt wollen auch mit allen Raffinessen des „1×1 des Beherbergungsregelwerks“ behandelt werden, außerdem stellten sich die Besucher:innen als äußerst eigenwillig und kompliziert heraus. Gerne reiste mal ein Schlüssel mit nach Australien und der „eine Typ“ war dann auch mittels Anmeldezettel nicht mehr auffindbar – von seiner Zahlungsmoral gar nicht zu reden.

Probleme gab es auch mit der Organisation des Putzens der Gästezimmer – „Oh nein, schon wieder eine chaotische Gruppe – wer kann mal eben schnell putzen?“

Den ersten Schritt in das – immerhin schon etwas organisierte – Chaos machte Nazmiye. Seit 2000 „schmiss“ sie den Gästebereich und war von da an die „Gute Seele“ des Ganzen. Kurz darauf kam dann im neuen Eifer des Gefechts der Ausbau, denn mit 18 Betten ist keine Gruppe oder Schulklasse versorgt. Also noch mehr Typen, die sich nur mit „Michael“ eintragen, englisch sprechen wollen und die immer wieder spontan ihre und somit unsere Pläne ändern.

Es ließ sich mit nun 34 Betten nicht mehr leugnen, eine Rezeption musste her!

Die ersten Ideen dafür waren kurios und klangen recht abenteuerlich. Es fing bei der Raumsuche an, die „Kita unten?“ – da waren Räume unlängst frei geworden. Als fragwürdig erwies sich auch die Personalsuche mit Vorschlägen wie: „Uwe wird unser Herbergsvater und wohnt auch gleich in der Rezeption.“

Ich selbst war gerade beim Versuch gescheitert, die große weite Welt zu erobern und war deswegen schnell davon begeistert, diese große weite Welt einfach hierher zu holen. So konnte ich das Projekt Rezeption im August 2002 starten. Leider hatte ich zu diesem Zeitpunkt weder einen eigenen Arbeitsplatz – ich arbeitete als „Gast“ im Büro“ – noch eine Ahnung, was da eigentlich theoretisch und praktisch auf mich zukommen würde. Die „Kita unten“ war irgendwann doch unsere Wahl. Die Baugruppe renovierte alles und wir, inzwischen hatte ich Mimi mit im Boot, setzten uns mit eigener Pinselkraft noch mit einer gelben Bordüre gegen „freundlich lichtes tauben-blau-grau“ durch. Wir konnten also loslegen.

Und nun? Wie funktioniert das mit einer Rezeption eigentlich? Glücklicherweise mussten wir nicht bei Null anfangen, denn das Büro lieferte uns schon erprobte Basis-Standards, auf denen wir aufbauen konnten. Somit begann der noch heute andauernde Prozess des „Learning by Doing“ für uns.
Auf „try“ folgte oft „error“; die Gäste hörten nicht auf, kompliziert und unberechenbar zu sein und hinzu kam, dass wir ein Team werden mussten. Wir wurden zur bunten Mischung von Menschen mit verschiedenen Erfahrungen und verschiedenen Alters. Die „Randgruppenförderung“ führte uns zusammen, 55 Jährige lernten von 21 Jahre alten, gerade erst aus der Schule geflohenen, Grünschnäbeln und andersrum.

Die alten Standards wurden in den letzten 3 Jahre verändert und manche Neuerungen hätten wir uns selbst nie so vorstellen können – an vielen Stellen ist das Alte aber noch zu erkennen!

Und es funktioniert:
Wir professionalisieren uns tatsächlich; die Anforderungen steigen und obwohl das Team häufig wechselte, gibt es jetzt einen festen (Frauen)Kern. Jede „Neue“ im Boot bringt neue Ideen mit und es kommt so nie zum Stillstand in der Rezeption. Ich bin sehr froh über die Entwicklung, die unsere Rezeption inzwischen gemacht hat – auch wenn ich mich oft darüber geärgert habe, dass wir nicht nur die Gäste betreuen, sondern auch die erste „offene Tür“ auf dem Hof und somit auch das große „I“ sind.

Aber erstens kommt alles anders und zweitens, als man denkt. Und ich bin stolz und froh, dass wir einen wichtigen Platz auf der Fabrik eingenommen haben. Mimis und mein Baby, unsere Rezeption, wächst immer weiter und ich bin auch stolz, nicht mehr nur „Fabrikkind“ zu sein, sondern etwas Gutes für die Fabrik zu tun.

Jenny Schill