Aus dem Archiv des Hausprojektes Leben und Arbeiten e.V. – im „Regenbogenhaus“ im Kiez am Klausenerplatz.
Anlässlich eines „runden“ Geburtstages etwas zu schreiben kommt ja öfters vor, den 41zigsten eines Hausprojektes zum Anlass zu nehmen ist da vielleicht etwas ungewöhnlich, aber durchaus spannend…
Am Samstag, den 7. Februar 1981 ist im sogenannten „Sanierungsgebiet Am Klausenerplatz“ in Charlottenburg das erste von insgesamt elf Häusern in Charlottenburg „geknackt“ worden. Eine Handvoll BesetzerInnen hat sich nach eingehender Beratung, sowohl aus strategischen wie taktischen Überlegungen für diesen Samstag entschieden, um eine drohende Luxussanierung durch den Wohnungskonzern Neue Heimat (NH) zu verhindern.
DIE TAZ berichtete, aber vor allem die Szenezeitung „Der Schlorrendorfer“ – Auflage satte 5.000 Exemplare… Sie widmete der ersten Hausbesetzung in Charlottenburg gleich zwei Extrablätter. Sie wurden kostenlos in und um den Kiez verteilt, u.a. um der damals üblichen Diffamierung der Besetzerszene durch die Springerpresse, allen voran der BZ, die Spitze zu nehmen.

Das Haus Nehring34 / Neuffert 13 kam 1975 auf die Liste der Häuser im Sanierungsgebiet, für die Luxusmodernisierung durch die Neue Heimat vorgesehen war. Freiwerdende Wohnungen wurden nicht mehr vermietet (zum Zeitpunkt der Besetzung wohnte noch eine türkische Familie im Haus), die notwendigsten Reparaturen am Haus nicht mehr ausgeführt, durch das Dach tropfte der Regen, alle Räume einer Wohnung im Erdgeschoss waren von Schimmel befallen, der Dielenboden faulte, die Wasserleitung leckte und, und, und…
Die ersten Tage nach der Besetzung waren geprägt von der Angst, geräumt zu werden. Danach wurde – sobald es irgendwie ging – die Instandsetzung in Angriff genommen. Sie verlangte den 33 Besetzer:innen (und ihren drei Kindern) physisch und psychisch ne Menge ab.
Und daneben stand die Öffentlichkeitsarbeit, damals und heute (siehe Regenbogenfabrik und ihre neue Genossenschaft „Hinterm Regenbogen“) ein ganz wichtiges Instrument der politschen Arbeit.
Im März 1981, knapp vier Wochen nach der erfolgreichen Besetzung beginnt sie in den zum „Kiezladen“ umfunktionierten Laden des Gemüsehändlers Winkelmann. Der im November 1980, nachdem die Neue Heimat die Miete auf 30.- Mark pro qm erhöht hatte, aufgeben musste. Jetzt wurde der „Kiezladen“ zusätzlich genutzt, um die Öffentlichkeit über die Ziele der Besetzer:innen, wer sie sind und wie sie sich im Kiez einbringen wollen, und natürlich um über die „Kaputtsanierungskonzepte“ der Neuen Heimat zu informieren, genutzt.
Nach dem Motto „Tu Gutes und rede darüber“… erscheint, neben den fortlaufenden Instandsetzungsarbeiten am und im Regenbogenhaus, nach nur 10 Monaten eine 16seitige Informationsbroschüre der Besetzer:innen mit dem etwas sperrigen Titel: „Neueste Erkenntnisse über Abstammung, Lebensgewohnheiten sowie Arbeitsweise des INSTANDSETZERTYPUS – Aufgezeigt am Beispiel der Häuser Nehring 34 & Neufert 11 und 13“.

Zum „Volkspreis“ von 100 Pfennigen bekommt der interessierte Leser/Leserin einen Einblick über das Innenleben einer sog. „Besetzerburg“. Neben einer Darstellung der damals praktizierten Sanierungspolitik der Neuen Heimat (NH) und einem kurzen geschichtlichen Abriss über die Instandbesetzung, stand u.a. der Alltag in einer sehr großen Gruppe: elf Frauen, elf Männer, drei Kinder, eine Zusammenstellung der gemachten Arbeiten („Investionen statt Miete“ – 16.739.- DM von Februar – November 1981) an den Häusern, sowie die Bestandsaufnahme der vorzunehmenden Arbeiten im Mittelpunkt der Broschüre.
Aber auch ein Gastbeitrag der Künstlergruppe RATGEB über die Entstehung und Diskussion zur Fassadenbemalung der Nehring 34 unter dem Titel „Ziel voll erreicht“, wurde abgedruckt – die Fassadenbemalung, auf der von der Künstlergruppe RATGEB vor allem die Besetzer:innen porträtiert worden sind. Heute würde das Fassadenbild vermutlich Busladungen von Berlintouristen anziehen. (siehe auch in diesem Blog:
https://regenbogenfabrik40.blog/2021/08/12/die-ku%CC%88nstlergruppe-ratgeb/ und
www.werner-brunner-kunst.comwandmalerei.html
So eine Führung in und um das „Regenbogenhaus“, verknüpft mit einem Exkurs zur Vergangenheit des in der Nazi-Zeit als „kleiner roter Wedding“ bezeichneten heutigen Kiezes am Klausenerplatz, wäre bestimmt für viele Interessierte ein spannender Einblick in die Geschichte.
In Zeiten vor der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 schlug in diesem damals sehr proletarisch geprägten Kiez mit seinen damals über 30.000 Einwohnern, den Nationalsozialisten noch bis 1934, insbesondere getragen von Mitgliedern der KPD und des sozialdemokratischen Reichsbanners, erbitterter Widerstand entgegen.
Zurück zum Inhalt der Broschüre – und der Arbeitsweise des „Instandbesetzertypus“ – aus dem Artikel „Ein Hausbau ist ein Klacks dagegen“.
Zitat:…“Nachdem die Besetzer:innen die geplante Luxussanierung der Neuen Heimat (NH) durch die Besetzung „aktiv zerstört“ hatten, ging’s ja ans Instandsetzen“…
Doch woher stammte eigentlich das ganze Material?
Heute geht’s zum BAUHAUS oder zum OBI oder zu Holz Possling. 1981 hingegen kauften Instandsetzer beim Besetzer! Die Jungs und Mädels vom „Bauhof“ in Kreuzberg hatten nicht nur ein sehr großes Angebot – von der Dachpappe bis zur Dachleiter. Auch fast neue Doppelfenster, Balken und Dielen – bezogen aus sogenannten Abrisshäusern – gab’s im Angebot, noch prima in Schuss und klimaneutral. Und selbst das notwendige Gerüst, um das Material auf’s Dach zu befördern, um den maroden Dachsims und morsche Balken zu erneuern und alles mit Holz und Dachpappe zu decken (die Anleitung dazu kam von einem Dachdecker aus dem Kiez!!!) konnten dort ausgeliehen werden.
Nach nur fünf Monaten waren im Sommer 1981 die „nervenden Dacharbeiten“ und die wichtigsten Innenarbeiten weitestgehend abgeschlossen.
Da aber bis zur Legalisierung in 1983 jederzeit die Gefahr bestand, geräumt zu werden, gab es neben den vorrangigen Aufgaben der Instandsetzung noch eine Besonderheit: Das Nachtwachenbuch!
Im Beitrag „Gemeinsam gegen Wohnungsnot“- eine Nabelschau der Nehring 34/ Neufert13 – geht es um diese Besonderheit der „Spezie Hausbesetzer:innen“ die einigen Leser:innen eventuell bekannt vorkommt…
Besonders durch die Nachtwachen haben wir uns allmählich vertrauter gemacht und den anderen nicht nur als Mitbesetzer gesehen. Im Nachtwachenbuch konnte jeder seinen Kummer von der Seele schreiben, wenn es ruhig war…
Zitat aus dem Nachtwachenbuch vom 14.02.1981:
„Mein Gott, wir sind schon eine Woche hier und die Freaks gehen mir total auf den Geist. Immer diese Chaoten um mich herum. Der Laden ist immer noch nicht fertig, der Müll stapelt sich. Und überhaupt kann man das ganze Haus vergessen. Die Leute mit der schlechten Laune sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst!“
Und heute, ja das Regenbogenhaus existiert immer noch, aktuell leben in ihm 35 Erwachsene und drei Kinder! Als Hausprojekt Leben und Arbeiten e.V. mit einem Pachtvertrag, abgeschlossen im Jahr 1983 und zweimal verlängert mit den Rechtsnachfolgern (heute GewoBag) ist „unsa“ Haus bis 2038 gesichert. Zwar ohne die schöne Wandbemalung der Künstlergruppe RATGEB, sie fiel leider so um 1988 einer unumgänglichen Gesamtsanierung der Fassade zum Opfer, doch ohne die Angst, das zu Hause zu verlieren.
Joachim (Jo) van der Linde