Die BVV von Friedrichshain-Kreuzberg beschloss am 17.6.2021 die afroamerikanische Dichterin und Aktivistin Audre-Lorde zu ehren. Dafür wird der nördliche Teil der Manteuffelstraße umbenannt.
Wer wird da gleich vor unserer Haustür geehrt?
Am 18. Februar 1934 wurde Audrey Geraldine Lorde in New York geboren. Das Y hat sie schon in jungen Jahren abgelegt, für die Symmetrie in ihrem Namen. Sie wusste bald, kraftvoll mit ihren Worten umzugehen.
Audre Lorde nutzte ihr kreatives Talent um Rassismus, Sexismus und Homophobie zu bekämpfen. Sie konzentrierte sich dabei oft auf die Diskussion von Differenz – nicht nur zwischen Menschen, auch in den Menschen selber. Und sie sagte: Es sind nicht die Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede zu erkennen, akzeptieren und diese zu feiern.
„It is not our differences that divide us. It is our inability to recognize, accept, and celebrate those differences.”
Was hat sie alles getan in ihrem Leben:
1954 verbrachte sie ein Jahr an der Universität von Mexiko; eine Zeit, die sie als bedeutend beschrieb für ihre Selbstbestätigung als Lesbe und Dichterin. Zurück in New York absolvierte Lorde das Hunter College und schloss 1959 mit dem Bachelor ab. Während ihres Studiums der Bibliothekswissenschaft sicherte sie sich ihren Lebensunterhalt durch sehr verschiedenartige Jobs.
Lorde arbeitete dann als Bibliothekarin, schrieb weiter und wurde ein aktiver Teil der homosexuellen Subkultur im Greenwich Village. Sie besuchte die Columbia University und erwarb 1961 den Master in Bibliothekswissenschaft. 1966 wurde Lorde leitende Bibliothekarin an der Town School Library in New York City, wo sie bis 1968 blieb. Ihre Gedichte wurden in den 1960er Jahren bereits regelmäßig veröffentlicht.
Zwischen 1984 und 1992 hielt sich Lorde oft in Berlin auf und half maßgeblich bei der Entstehung der afro-deutschen Bewegung mit. Sie hatte zeitweise eine Gastprofessur am John-F.-Kennedy-Institut der FU. Ein Film von Dagmar Schultz erzählt eindrucksvoll davon.
Audre Lorde starb am 17. November 1992 in Christiansted, Saint Croix.
Was ist heute davon noch für uns wichtig?
Audre Lorde hat Debatten um Critical Whiteness und Intersektionalität in Deutschland geprägt. Oft wird ihre Selbstbezeichnung zitiert: „black, lesbian, feminist, mother, poet, warrior“.
Lorde hielt sich bis 1992 oft in Kreuzberg auf. Sie hatte in dieser Zeit einen zentralen Einfluss auf die Entstehung der jüngeren Schwarzen Bewegung, besonders einer Schwarzen Frauenbewegung, in Deutschland. Gleichzeitig setzte sich Audre Lorde mit der feministischen Bewegung in Deutschland auseinander. Weiße Frauen forderte sie immer wieder dazu auf, Differenz zu akzeptieren und Privilegien konstruktiv zu nutzen, womit sie einen nachhaltigen Einfluss auf das Bewusstsein vieler Frauen sowie auf die akademische Diskussion zu Intersektionalität (Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen) hinterließ. Ihre leidenschaftlichen und brillanten Texte und Vorträge inspirieren bis heute feministische, queere, lesbische, Schwarze und Women of Color-Bewegungen weltweit.
So forderte sie einmal nach einem Vortrag alle weißen Zuhörer*innen auf, den Raum zu verlassen. Alle People of Color im Publikum sollten den Raum nach dem Vortrag nicht verlassen, bevor sie mit einer anderen schwarzen Person gesprochen hatten. Auch wenn „Critical Whiteness“ heute weiter stark umstritten ist, ist es ein Verdienst von Lorde, mit diesem radikalen Ansatz schwarze Frauen in ihrer Identität zu bestärken und zu ermutigen. Damit hat sie Diskussionen angestoßen, die bis heute in der LGBTI-Community weitergeführt werden.
Sie selbst erfuhr immer wieder, in der Gesellschaft unsichtbar zu sein: „Ich meine, dass ich doppelt unsichtbar bin als eine schwarze, feministische Frau, und dreifach unsichtbar als eine schwarze, lesbische Feministin“, sagte sie in dem Dokumentarfilm „A Litany for Survival: The Life and Work of Audre Lorde“ (Eine Litanei des Überlebens: Das Leben und Werk der Audre Lorde)
Mein Merksatz nach allen Recherchen: There is no Hierarchy of Oppressions. Wir sind durch das Leben selber gezwungen, sie immer mit zu beachten.
Und meine Freundin Christa Schikorra schrieb mir: „Was ich mir, durch die Texte, Lesungen und Gespräche von Audre Lorde in den 80ern/frühen 90ern für mich mitgenommen habe, ist nicht nur die Reflexion über strukturellen Rassismus und das Hinterfragen des feministischen „wir Frauen“, heute als Intersektionalität bekannt. Vor allem ist mir ihr Impuls in Erinnerung, wahrzunehmen, wie sehr die Diskriminierung und Stigmatisierung Schwarzer Perspektiven – und das gilt sicherlich auch für andere Minderheiten in Bezug zur Mehrheitsgesellschaft – uns, in dem Fall weiße Feministinnen, einschränkt, weil wir so viel ärmer sind mit nur „unserer“ Perspektive und unserem Horizont. Das war ein wirklicher Paradigmenwechsel für mich, weg von der Haltung „wir müssen den Diskriminierten ihren Platz geben“, hin zu der Haltung „mir fehlt etwas, wenn ‚andere‘ in meiner Welt nicht präsent sind“.
Es ist ein kleiner, aber schöner Schritt, dass nun eine Straße in Kreuzberg an Audre Lorde erinnern wird.
Dank an Alle, die dafür Anschub gegeben haben!
chz
Trailer zum Film von Dagmar Schultz (Salzgeber):
https://vimeo.com/ondemand/audrelorde
Zugabe zum Merksatz:
https://www.youtube.com/watch?v=-CPAlSVaiL8&list=RDCMUC2xX2FI6s4i9xz3t9qjayhg&index=2
Sehr beeindruckend ist das Video von einer Lesung von Audre Lorde im Amerika Haus Berlin 1984
„A woman speaks“: https://www.youtube.com/watch?v=7ZdlJcwgMuk