Wie genau ist es eigentlich dazu gekommen, dass du für die Regenbogenfabrik so eine wichtige Rolle gespielt hast?
– So hatten wir schon letztes Jahr in Vorbereitung auf den Blog Günther Poggel gefragt. Und bekamen diese umfassende Antwort!
Da muss ich schon etwas ausholen:
Ab 1976 war ich als Architekt und Stadtplaner in der Senatsverwaltung für Schulwesen im Programm Oberstufenzentren beschäftigt. Diese Verwaltung fusionierte ab Mitte 1981 mit der damaligen Senatsverwaltung für Jugend, Familie und Sport.
Die Jugendverwaltung wirkte seit etwa Mitte der 70er Jahre sehr aktiv und wie die meisten Verwaltungen in der Planungsleitstelle des Senats mit. Hier wurde der Versuch gestartet, durch eine enge Zusammenarbeit möglichst vieler Senatsverwaltungen zu einer integrierten Stadtpolitik zu kommen. In der Jugendverwaltung wurde, wie in weiteren Senatsverwaltungen auch, hierzu ein eigenes Referat geschaffen, welches eng an die jeweiligen Leitungen angeschlossen wurden. Bundesweit wuchs zudem in der sozialdemokratischen Politik die Überzeugung, dass in allen öffentlichen Planungsprozessen frühzeitig die Betroffenen in die Zielbeschreibungen mit einzubeziehen seien.
Hierfür waren stadtweit entsprechende Strukturen zu schaffen und in den Folgejahren auch schrittweise umgesetzt (z.B. Jugendhilfeausschüsse auf Bezirksebene und landesweit, Stadtteilausschüsse etc.) und die hier formulierten Zielsetzungen sollten im Politikbetrieb umgesetzt werden. An den Hochschulen lehrten inzwischen Professoren eine neue Verantwortlichkeit in der Stadtentwicklung, die durch gesellschaftskritische Studierende mit in die künftigen Jobs genommen wurde.
Gleichzeitig gab es, gerade in Kreuzberg, eine Fülle von Fragestellungen im Zusammenhang mit der Ausrichtung einer künftigen Stadtplanungs- und Baupolitik, die den sich verändernden Bedürfnissen der Bewohner*innen entsprechen konnte. Hart prallten hier z.B. die Meinungen der Befürworter einer auf Abriss programmierten Baupolitik mit denen zusammen, die eher einer behutsamen Sanierung Raum geben wollten.
1977 hatte zudem der West-Berliner Bausenator Harry Ristock auf Initiative des Pfarrers Klaus Duntze einen Bürgerwettbewerb ausgeschrieben, um Ideen für Kreuzberg zu sammeln.
In der Formulierung dieser „Strategien für Kreuzberg“ waren die Senatsverwaltungen und der Bezirk eng mit eingebunden. Die Zusammenarbeit aller dieser Stellen hatte dadurch zu integrierten Zielbeschreibungen geführt und alle Beteiligten konnten hiervon auch arbeitsmäßig deutlich profitieren. Man hatte sich und die jeweiligen Aufgaben der unterschiedlichen Fachfelder sowie die Verantwortlichen dort kennengelernt und konnte das in seine eigene Strategie mit einbeziehen. In dieser Gemengelage wechselte ich also innerhalb meiner Verwaltung 1982 in das Planungsreferat, weil dieses sich mit einem qualifizierten Stadtplaner verstärken wollte. Ich traf da auf Verantwortliche, die nicht erst durch die Zielsetzungen der „Strategien“ der festen Überzeugung waren, dass sich Jugendpolitik aktiv in die Aufgabenstellung anderer und die Situation junger Menschen beeinflussenden Zuständigkeiten einmischen muss, wenn sie etwas erreichen will.
Meine damalige Chefin, Ingrid Mielenz, hatte dies dann auch mit der sog. Einmischungsstrategie zusammengefasst; diese Auffassung wurde später dann auch fester Bestandteil des ab 1989/1990 geltenden Jugendhilfegesetzes. Unserer Arbeit kam damals sehr entgegen, dass die Jugendverwaltung durch die ehemalige Senatorin Reichelt sehr selbstbewusst geprägt war und die Nachfolgerin im Amt, Laurien, nicht so konservativ war, wie man ihr gern nachsagte. Als sie aus Rheinland-Pfalz nach Berlin kam, brachte sie eine Reihe jüngerer Fachbeamter mit, die in Berlin Leitungsaufgaben übernahmen. So auch unser Abteilungsleiter, bei dem die Planungsreferate Schule und Jugend zusammengeführt wurden. Der Mann zeigte sich äußerst interessiert an den Dingen, die wir bewegten und das fand weitgehend auch Unterstützung durch den damaligen Staatssekretär. Wir hatten also verwaltungsmäßig einen breiten Handlungsspielraum, den wir im Sinne der vom Senat beschriebenen Ziele fleißig nutzen konnten.
Mitstreiter in diesem Referat war zudem Manfred Schneider, der zu dem Dreigestirn (Senatsverwaltungen für Inneres, für Bauen und für Jugend und Familie) gehörte, welches der kurzfristige Regierende Bürgermeister Jochen Vogel zusammengerufen hatte, um die sog. „Berliner Linie“ in der wachsenden Haubesetzerszene vorzubereiten und durchzusetzen.
Vor diesem sich entwickelnden veränderten Politikverständnis darf nicht unerwähnt bleiben, dass stadtweit auch andere Personen diese beschriebene Politik positiv beeinflussten. Für Kreuzberg sind hier vorrangig zu nennen:
Werner Orlowsky als Baustadtrat, rettete die Regenbogenfabrik mit einem B-Plan in letzter Sekunde
Günther König als Jugendstadtrat, der sich persönlich um die Projekte kümmerte und dessen rotes Sofa in seinem Amtszimmer legendär war!
Hardt-Waltherr Hämer als Hochschullehrer, Leiter des Sanierungsträgers S.T.E.R.N. mit seinen „Thesen zur behutsamen Stadtentwicklung sowie einer ganzen Reihe hiervon „infizierter Mitstreiter*innen“ (z.B. C. van Geisten, Kostas Kouvelis usw.);
sowie die vielen Befürworter in den Stadtteilkommissionen, Bürgergremien und auf den Ämtern.
Alle diese agierenden Personen trafen sich zudem wieder in den verschiedenen Stadtteil- und Projektkommissionen, in den bezirklichen Gremien und später eben auch in den Steuerungsrunden zur Internationalen Bauausstellung.
Weiter sind auch das Wirken und die vorzeigbaren Ergebnisse der treuhänderisch für das Land Berlin agierenden von der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen beauftragten Gesellschaften BSM, L.I.S.T., S.T.E.R.N., SPI, STATTBAU zu nennen, ohne die eine Umsetzung kaum möglich gewesen wäre. Diese berieten die Träger und Initiativen in Richtung machbarer Wege und halfen mit, die vielen Finanzierungsmöglichkeiten von Städtebauförderungsmitteln, Zukunftsinvestitionsprogramm-, ModInst- und Selbsthilfemitteln etc. zielgerichtet und je nach Projekt unterschiedlich zu nutzen.
Ab 1982 durfte ich, wie oben beschrieben, in diesem Geschäft mitmischen. Neben den festen Aufgaben unserer Verwaltung als Träger öffentlicher Belange in der Stadtentwicklung und dem notwendigen Aufbau einer Jugendhilfe-Planungsstruktur in der Stadt oblag es mir aber auch, mich unterstützend und begleitend um einige der Projekte zu kümmern, soweit Jugend- und Familienbelange betroffen waren. Schon am ersten Tag lernte ich so beispielsweise den bunten Haufen der Leute aus der Ufa-Fabrik kennen, die ich bis zum Erbbaurechtsvertrag begleitet habe,
Wann ich die Regenbogenleute erstmals getroffen hatte, kann ich nicht mehr genau sagen, aber ich erinnere mich noch an die fröhliche Gruppe, die in mein Büro tobte. Eure Ziele waren zeitgemäß, wurden sehr glaubwürdig vorgetragen und passten unter dem Schwerpunkt „Selbsthilfe“ genau in die Zeit. Die Zusammenarbeit mit Euch war durch Verlässlichkeit geprägt! Trotzdem war es erstaunlich und wirklich nicht selbstverständlich, dass die Regenbogenfabrik von Anfang an so viele Befürworter hatte. Schwierig war es jedoch, trotz der diversen vorhandenen Finanztöpfe für die unterschiedlichen Handlungsfelder Eures Konzepts eine schlüssige Finanzierung auf die Beine zu stellen. Vorher – so die Finanzverwaltung – war nicht daran zu denken, dass Berlin beispielsweise die Grundstücke erwarb oder Nutzungsverträge schloss.
Mit dem „Beschluss des Abgeordnetenhauses über den langfristigen Erhalt der Regenbogenfabrik“ hatten die Regenbogler*innen dann erstmals etwas in der Hand und Entspannung war angesagt.
Ende der 80er Jahre kam der Grundsatz, dass bezirklich wirksame Projekte auch von den Bezirksverwaltungen zu bearbeiten seien. So habe ich meine Akten zur Regenbogenfabrik der damaligen Kreuzberger Sozialstadträtin Junge-Reyer auf den Tisch gelegt und ihre Verwaltung wurde zuständig. In den Folgejahren hatte ich zwar auch immer mal wieder mit der Fabrik zu tun, aber nicht mehr in der bisherigen Verantwortung.
Schön, dass es Euch noch gibt und, wie mir scheint, das besser denn je! Ich kann mir jedoch schon vorstellen, dass Corona auch Euch mächtig beutelt!
Kommt gut durch diese besondere Zeit mit ihren besonderen Zwängen auch für Eure Arbeit!
Aber neue Herausforderungen haben Euch meist stärker gemacht!
Beste Grüße an die Gruppe
Günther Poggel