Als wir, die Hausgemeinschaft „Hinterm Regenbogen“,

im November 2020 auf die Unterschriften unter den Kaufvertrag anstoßen konnten …

… da blickten wir auf drei intensive Jahre zurück. Eine Zeit voller Forscher*innendrang (Welche neue Eigentumsform wollen wir? Wie lässt sich das alles finanzieren? Wie machen andere das?) und banger Fragen trotz großem Optimismus – und auf die Erfahrung von viel Solidarität.

Ein Bericht über ein neues Projekt und zugleich eine Menge Stadtgeschichte

Um den übrigen Genoss*innen unser Haus und unseren Weg in die SelbstBau vorzustellen, möchte ich gern auch etwas über dessen Kontext erzählen. Und so startet unsere Geschichte rund hundertfünfzig Jahre vor dem jetzigen Korkenknallen.
Damals wuchs Berlin in einem wirklich atemberaubenden Tempo. Hier in der Südlichen Luisenstadt waren gerade noch Gärten angelegt worden. Auf unserem Grund und Boden muss mal eine Ölmühle gestanden haben. Doch dann wurden die großen Straßen geplant, die Reichenberger, die Wiener und ihre Seitenstraßen. Die Grundstücke wurden parzelliert, verkauft, weiterverkauft. Wir haben heute viel Wissen über Spekulation, unsere Altvorderen haben darunter wahrlich auch schon gelitten. Das Spekulationskarussell wurde in unserer Gegend in den achtziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts erst mal angehalten, verbunden mit einer größeren Investition: In unserem „Block 109“ entstand ein Dampfsägewerk und ringsum Wohnungen und andere Gewerbeimmobilien in der Manier der schon damals so genannten „Kreuzberger Mischung“. Baumeister bekamen den Auftrag, Maurer und Zimmerleute kamen, Schiffer brachten die Ziegel aus dem Umland. In „unserer“ Fabrik wurden die über den Landwehrkanal angelieferten Bäume zu Balken und Brettern verarbeitet.

Wir wissen heute nicht mehr, wie viele Menschen damals in unseren Wohnungen lebten; sicher waren mehr als vierzig (ich zähle 36 Wohnungen = als 100?) Menschen hier im Haus. Haben doch ganze Familien, inklusive Schlafburschen, in einer Stube mit Küche und Außenklo ihr Leben organisieren müssen. Gekommen waren sie von weit her, womöglich aus Schlesien. Was haben sie dann alles erlebt! Soziale Kämpfe im Kaiserreich, Sozialistengesetze, langsamen Fortschritt und bescheiden steigenden Lebensstandard. Dann Krieg, Revolution, die sogenannten Goldene Zwanziger, Nationalsozialismus, nochmal Krieg. An vielen Stellen musste die Stadt danach notdürftig repariert werden.
All das hat unser Haus irgendwie halbwegs unbeschadet überstanden. Doch Anfang der achtziger Jahre sollte es abgerissen werden.

Die seit den Sechzigern verfolgte neue Stadtentwicklung war ehrgeizig; die alte Gründerzeitstadt mit ihrer oft krankmachenden Mischung von Gewerbe und Wohnen sollte verschwinden und der modernen Stadt Platz machen. Viele ehrenwerte Motive gab es, doch auch viel Geschäftemacherei.

Weiter draußen entstand das Neue in der Gropiusstadt und im Märkischen Viertel. Ich stelle mir vor, wie gerne viele Menschen die alten Löcher ohne Klo, geschweige denn Bad, hinter sich ließen. Manche aber wollten einfach bleiben. In die leer gewordenen Häuser zogen ganz andere Leute ein, die neuen migrantischen Arbeiter*innen, die Künstler*innen, die Bundeswehrflüchtlinge und Studierenden, die Sucher*innen nach neuen Formen des Zusammenlebens. Sie entdeckten so viel Potenzial in den nun als alt und schmuddelig geltenden Gemäuern, sahen die Solidität in dem von den Modernisierer*innen verächtlich gemachten Quartier. Auch außerhalb von Kreuzberg fing neues Denken an: Behutsame Stadterneuerung statt brutalem Abriss und weiterer Zerstörung von gewachsener Nachbarschaft.

Entscheidend hierfür waren insbesondere die Aktivist*innen im Kiez, organisiert im Verein SO36 und in der gleichnamigen Bürgerinitiative. Gut vernetzt waren sie mit den fortschrittlichen Architekt*innen, die sich schon in den siebziger Jahren in der „Rote Zelle Bau“ verbündeten und ihren Weg nicht zuletzt in die Internationale Bauausstellung fanden.

Die Geschichte der Besetzung der Regenbogenfabrik und der Häuser ringsum ist oft erzählt. Von den Aktivist*innen, die die Machenschaften der „Vogel-Braun-Gruppe“ (diverse Gesellschaften zum Zweck der Steuerersparnis) stören wollten und sich Unterstützung von befreundeten Gruppen suchten.
Und so kamen wir hier in verschiedenen Gebäuden zusammen; wenige kannten sich schon vorher. Und dann haben wir einfach gemacht, was anlag. Uns den Zugang sichern und dann die Türen wieder reparieren. Die Öfen zum Wärmen bringen und die geborstenen Fenster winterfest machen. Regeln in unser Zusammenleben bringen und nach außen unser Bleiben sichern. Kontakt zu den Nachbar*innen finden, die Jugendlichen kennenlernen, die die Fabrik schon lange besetzt hatten, und „Pat*innen“ finden, wie das benachbarte Stadtteilzentrum, die GEW und die Ölberg-Gemeinde.

Begleitet haben uns immer wieder Expert*innen, die uns bewundernswert geduldig anleiteten, die schwierigen Wege in Politik und Verwaltung kennenzulernen und uns dabei unterstützten, unseren Weg in Selbstverwaltung und Basisdemokratie zu finden.

Nach drei Jahren Hausbesetzungsbewegung wurden 1984 die letzten Häuser geräumt oder legalisiert. Haus und Fabrik waren aufgrund der verwickelten Situation unter den letzten zehn.

Das gleiche Bündnis verhalf uns dazu, an die Mittel zu kommen, um ab 1985 unser Haus im Rahmen der Selbsthilfe instandzusetzen.
Wieder fingen wir als Gruppe auch ein bisschen von vorne an. Einige verließen uns, denn sie wollten Politik machen und nicht in der Selbsthilfe versauern, andere kamen genau, um handwerklich mit anzupacken. Ich finde, wir haben da so einiges geschafft. Uns neu finden, die Regeln bekräftigen und pflegen, die ganze Arbeit stemmen – und die Kinder nicht zu vergessen.

Verrückterweise hörte es so schnell nicht auf mit dem Bauen, nach der Instandhaltung kam die Modernisierung. Wieder haben wir Jahre geschuftet und auf der Baustelle gelebt und bemerkenswerterweise sind wir weder pleite gegangen noch haben wir uns über Gebühr die Augen ausgekratzt. Keine*r ist mit der Baukasse durchgegangen und wir haben in den vielen legalen Unzulänglichkeiten unsere Autonomie und unsere Gleichberechtigung bewahrt. Wir haben unsere Regeln aufrechterhalten und beschließen weiterhin, was nötig ist, im Stockwerk und im Plenum.
Wir sind sogar Strommüller geworden und besitzen nun schon das zweite BHKW. Ohne die Heldentaten unserer Architekt*innen und die Unterstützung durch kluge Bauleitung wäre das auch nicht so einfach gewesen.

In all dem Positiven muss auch Erwähnung finden, dass wir daran gescheitert sind, die Besitzverhältnisse frühzeitig zu unseren Gunsten zu verändern. Ein Kauf unseres Hauses war aus verwickelten Gründen nicht möglich. Wir hätten uns damals wohl auch nicht die mutigen Entscheidungen vorstellen können, die wir heute treffen. Und nach einer Zeit der Konsolidierung – viele Kämpfe gingen rund um die Regenbogenfabrik weiter – haben wir vor zehn Jahren feststellen müssen, dass unser Haus verkauft worden war.

So haben wir nun unsere neuen Eigentümer kennenlernen können, dürfen, müssen. Mbjc GmbH, was kann das denn sein?
Wir starteten die Recherche und entdeckten, dass es sich um eine Familien-GmbH handelt. Da hatte es anderswo im Kiez nicht unbedingt gute Erfahrungen gegeben. Unsere Skepsis wuchs.

Die Laufzeit unseres letzten Vertragswerks neigte sich ihrem Ende zu und wir fingen an, darüber nachzudenken, wie es um die Zukunft bestellt sein kann, mit der neuen Eigentümerschaft, die anfangs geäußert hatte, nicht verkaufen zu wollen.

Das änderte sich, als wir im Plenum über die notwendigen Trockenlegungsmaßnahmen im Keller nachdachten. Ganz offensichtlich war da Handlungsbedarf und es würde einiges kosten. Das war das erste Mal, dass wir eine notwendige Investition unter der Perspektive des endenden Vertrages sahen. Würden wir in vier Jahren überhaupt noch die Instandhaltungspflicht haben? Würden wir unsere Selbstbestimmung behalten? Lohnte sich unter dieser Perspektive unser Engagement?

Wir nahmen wieder Kontakt auf mit den Eigentümern in Wien, um eine Verlängerung und langfristige Sicherung unseres Vertrages zu unseren Bedingungen zu erwirken. Da schlugen wir uns schon vor drei Jahren mit den technischen Tücken der internetbasierten Kommunikation (Skype) herum. Und dann kam der erstaunliche und durchaus unerwartete Satz: „Ich könnte das Haus ja auch an Sie verkaufen.“

Da gab es kein langes Zögern, dieses Angebot musste angenommen werden. Und damit fing eine sehr aktive Phase an. Wir hörten uns herum in ALLE Richtungen. Sprachen mit Genossenschaften, dem Mietshäuser Syndikat, mit Banken, über die Steuer und schon in der ersten Phase auch mit Pit Weber. Mit ihm waren wir durch den Sprecher*innenkreis des 2007 gegründeten Solidarfonds für Berliner und Brandenburger Hausprojekte verbunden. Das war damals eine gute Erfahrung, das machte Mut auf mehr.

Wir beauftragten einen Gutachter zur Kaufpreisermittlung und waren dann schon sehr schockiert darüber, welche Preise in Berlin in diesen Zeiten aufgerufen werden. Wir lernten, dass die Preisvorstellungen der Eigentümer keinesfalls jenseits von Gut und Böse waren. Wir organisierten uns neu, neben das Plenum trat die Koordinationsgruppe. Um nach außen aktiv sein zu können, gründeten wir den Verein „Hinterm Regenbogen“.

Wir dachten darüber nach, wer uns unterstützen könnte bei der Kaufpreiserbringung und waren glücklich darüber, wie viel Solidarität von Freundinnen und Freunden ausgedrückt wurde. Da schien vieles schon machbar. Auch die Gespräche mit der GLS Bank signalisierten, dass da was möglich wäre.

Letztendlich ist ein anderer Weg der gesellschaftlichen Solidarität zum Zuge gekommen. Die Finanzierung des Kaufpreises ist uns nun ermöglicht durch die Bewilligung eines öffentlichen Darlehens im Rahmen der „Verwaltungsvorschriften für die Durchführung eines Projektaufrufs zur Förderung genossenschaftlichen Wohnungsbaus in Berlin 2019“. Es ist gar nicht zu ermessen, wie viele Leute da an wie vielen Hebeln gezerrt haben.

Früh schon war die Stiftung trias mit im Boot, die wir ebenfalls durch den Solidarfonds für Berliner und Brandenburger Hausprojekte schon kennengelernt hatten. Für einen unserer Mitbewohner eröffnete sich dadurch eine besondere Perspektive. Schon lange suchte er einen Weg, wie er sein Erbe in die Sicherung unseres Hauses einbringen konnte. Dazu sagt er: „Eigentlich handle ich da völlig eigennützig. Ich möchte nicht alleine, sondern in einer pluralen, vielfältigen Gemeinschaft leben. Und wenn ich das Erbe, das ich nicht verdient habe, dafür einsetzen kann, umso besser.“
Der Eigentumsübertrag war ein Baustein der Finanzierung. Stiftungszweck der trias ist es, Grund und Boden „auf ewig“ der Spekulation zu entziehen. M. konnte so loslassen, was er nie haben wollte.

Was musste noch alles vertraglich geregelt werden?
Das Erbbaurecht wurde von den Eigentümern „eingesetzt“ und der trias übertragen. Danach konnte ein Erbpachtvertrag zwischen trias und SelbstBau e. G. abgeschlossen werden. Gleichzeitig wurde das Gebäude von der Eigentümerin mbjc an die SelbstBau e. G. verkauft.
Alles klar, oder?

Ein Wort noch zur bisherigen Eigentümerschaft. Unter Ausnutzung der Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt haben sie sowohl durch jahrelange Miete ohne Verpflichtungen zur Instandhaltung, als auch durch den hohen Verkaufserlös ohne eigene Anstrengung ein Vielfaches von dem eingenommen, was sie vor zehn Jahren beim Kauf investiert haben.
Wir hadern damit und haben doch zu akzeptieren, dass solches Handeln in unserem Staat legal ist.

Wir haben einen Verhandler erlebt, der in einigen Details seinen Vorteil nicht vergaß, doch im Grundsatz zu seinen Zusagen stand. Wir mussten eine sehr lange Zeit geduldig bleiben, um die wegen der Spekulationssteuer entstehende Frist abzuwarten. Was hätte in dieser Zeit noch alles passieren können. Doch im Wesentlichen sind nun die vor drei Jahren verhandelten Eckwerte in das Vertragswerk eingeflossen. Das ist zu loben.

Wir können mit einer moderat steigenden Miete in die neuen Zeiten eintreten und es gibt einen Plan für die nächsten zwanzig Jahre. Im Vergleich zu den allgemeinen Erwartungen können wir annehmen, damit recht günstig davonzukommen.

Wir schlagen also ein neues Kapitel auf in der Geschichte unseres Hauses und unserer Gemeinschaft. Wir werden Genoss*innen! Nicht alle, und das macht uns schon was aus. Das erste Mal in unserer Geschichte gibt es in dieser Konstruktion „echte“ Mieter*innen bei einer externen Organisation, der Genossenschaft, und eventuell unfreiwillige Untermieter*innen bei Einzelnen von uns. Wir wollen aber Gleichberechtigung und unsere internen Entscheidungsstrukturen sichern. Dabei helfen wird uns, dass wir uns einen Binnenvertrag geben werden und wir unser Modell der Konsensfindung überarbeiten.

Wir freuen uns darauf, als sechsundzwanzigstes Haus unseren Platz in der SelbstBau zu finden.
Wünschen wir uns das Beste, was das Leben bieten kann: Lernen wir weiter!

Christine Ziegler

Der Artikel erscheint im Sommer im Mitgliedermagazin der Selbstbau e.G.

https://selbstbau-eg.de/die-selbstbauerin-der-selbstbauer/