Eine Perle für das Hostel

Als das Hostel richtig gut lief, war die Arbeit dort nicht mehr nebenbei zu bewältigen.

Wir konnten es kaum glauben, aber (gefühlte) 95% der männlichen Jugendlichen aus aller Welt und ca. 40 % der weiblichen wissen nicht, dass ein Duschvorhang IN die Duschwanne gehängt werden muss und nicht davor. So hatten wir mit täglichen Überschwemmungen unterschiedlichen Ausmasses , nassen Rigipswänden und Teppichen zu tun. Das Wasser lief die Stufen hinunter bis in den Eingangsflur; das aus der Herrendusche kam irgendwann durch die Wand in die Damentoilette. Auch stehengelassenes schmutziges Geschirr gab es immer mal wieder, Berge von Bettwäsche und reichlich zu putzen.

Da wurde uns vom Arbeitsamt Nazmiye geschickt, eine ältere türkische Dame, die sie nach vielen Jahren bei Siemens aussortiert hatten.

Nazmiye war sehr froh, bei uns arbeiten zu können. Sie war eine fröhliche, mütterliche und herzliche Person, die wusste, was zu tun war. Sie schloss uns alle gleich in ihr großes Herz und behandelte die meist jugendlichen Hostelgäste – Sprache und Nationalität egal – wie ihre Kinder.

Manchmal kochte sie was Leckeres für alle. Wir „Bürotanten“ wurden sogar in ihr Haus in der Türkei eingeladen!

Eines Tages entrüstete sie sich über die Ernährungsgewohnheiten der jugendlichen Gäste. Diese aßen meist Fertiggerichte und Schlimmeres. Sie habe den jungen Leuten mal erklärt, wie ungesund dieses Essen sei, erzählte sie uns. „Ist doch Magen! Und nicht Mülleimer!“ empörte sie sich.

Ob die Jugendlichen genauso amüsiert waren wie wir, ist nicht überliefert.

Irgendwann waren die Sanitäranlagen „kaputtgeduscht“ und wir entschlossen uns zu einer Grundsanierung bei laufendem Betrieb.

Das gefiel Nazmiye natürlich einerseits, denn auch sie hatte genug von den täglich plätschernden Fluten. Andererseits: Bauarbeiten machen immer Dreck, und mit dem stand sie ja auf Kriegsfuß!

Die Baugruppe rückte an und demontierte erstmal alles. Nazmiye stand mit Staubsauger und Wischmopp daneben und bekämpfte den Schmutz sozusagen im Keim.

Die Baugruppe nahm es zunächst mit Humor, aber irgendwann musste mal jemand ein ernstes Wörtchen mit Nazmiye reden, da der Baufortschritt doch stark behindert wurde.

Sie zog sich schmollend in den Aufenthaltsraum zu ihren Jugendlichen zurück, behielt die Baustelle jedoch stets im Auge.

Sobald die Bauarbeiter mal nach draußen mussten, um neue Mischung zu machen oder Material zu holen, flitzte sie mit Eimer und Lappen los und beseitigte das Gröbste.

Auch die Mittagspause der Bauarbeiter wurde gut genutzt. Zeit genug für Nazmiye, eine Grundreinigung durchzuführen! Es wurde gesaugt und gewischt, das Werkzeug gereinigt, die angetrockneten Spachteltöpfchen geleert und die Kaffeetassen gespült.

Kamen die Bauarbeiter gestärkt aus der Pause zurück, hatten sie die sauberste Baustelle von ganz Kreuzberg!

Susanne M.

Nazmiye hat im November 2000 angefangen in der Fabrik zu arbeiten.

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