Seht, das ist eine wahre Geschichte
(Hans Christian Andersen: „Die Prinzessin auf der Erbse“)
13. März 1981:
Once upon a time there was a tavern,
Where we used to raise a glass or two
Remember how we laughed away the hours
And dreamed of all the great things we would do.
Die Geschichte der Besetzung der Regenbogenfabrik fing vielleicht nicht unbedingt in einer „Taverne“ an, aber die letzten Vorbereitungsgespräche fanden am Abend des 13. März 1981 in einer Kneipe statt, denn das Treffen musste schließlich konspirativ sein. (Jeder, der etwas auf sich hielt, nahm ja an, dass der Verfassungsschutz nicht nur sein Telefon abhörte, sondern auch gleich die ganze Wohnung „verwanzt“ hatte).
Es war denn auch so konspirativ, dass ich sogar den Namen des Lokals vergessen habe. Aber dass das Vorgehen für den „Besetzungsakt“ besprochen wurde, weiß ich noch, und dass wir viel gelacht und von großen Taten geträumt haben.
Doch auch dieser Abend ging einmal zu Ende und nach ein wenig Schlaf fing am folgenden Tag die offizielle Geschichte der „Regenbogenfabrik“ an.
14. März 1981:
Those were the days my friend
We thought they’d never end
We’d sing and dance forever and a day
We’d live the life we choose
We’d fight and never lose
For we were young and sure to have our way
Natürlich war uns klar, dass wir nicht ewig „singen und tanzen“ konnten, aber die Zeit während und kurz nach der Besetzung war doch wie ein großer Rausch: Akzeptiert von der großen Mehrheit der Anwohner, in Ruhe gelassen von der Polizei, die uns glaubte, dass die Besetzung schon länger zurücklag – nach der „Berliner Linie“ durfte ein Haus, das länger als 24 Stunden besetzt war, nicht mehr von der Polizei geräumt werden – konnten wir daran gehen, uns den Traum von der „Selbstverwirklichung“ und der Symbiose von „Leben und Arbeiten“ zu erfüllen. Dass ein langer und dorniger Weg vor uns lag, ahnte kaum einer.
Die erste Zeit nach der Besetzung:
Then the busy years went rushing by us
We lost our starry notions on the way
So ein „Besetzeralltag“ hat es in sich: Die Wohnungen waren durch den langen Leerstand zum Teil in einem verheerenden Zustand, es gab jede Menge Schutt zu entsorgen, die Eigentümer machten Druck, um uns wieder loszuwerden; neben dem Wohnhaus musste auch die Fabrik wieder auf Vordermann gebracht werden. „Nebenbei“ wollten auch noch die eigenen Kinder versorgt werden und es gab damals sogar noch Leute, die einen Arbeitsplatz hatten. Niemand wusste, ob sich das alles lohnen würde und ob sich unser Projekt halten könnte.
So blieb es nicht aus, dass einige Menschen vor lauter Stress das Handtuch warfen und das Projekt wieder verließen. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass diese Prozesse nicht immer ohne Schuldzuweisungen abliefen.
Gab es innerhalb des Wohnhauses die Schwierigkeiten, sich „etagenmäßig“ zusammenzufinden, so waren auf der „Fabrik“ durchaus unterschiedliche Auffassungen vorhanden, wie das Gelände und die Gebäude genutzt werden könnten. Doch eines war klar: Für die vielen Straßenkinder, die damals diesen Block bevölkerten, musste etwas getan werden. Und besonders der große Raum im ersten Stock des Fabrikgebäudes bot sich für kulturelle Veranstaltungen jeder Art an. „Wenn die Kultur stirbt, beginnt die Gewalt“ (Zitat Klaus Hoffmann, Sänger und Schauspieler).
Und selbstverständlich sollte die Nachbarschaft von unseren Aktivitäten profitieren. „Der Revolutionär muss sich im Volk bewegen, wie der Fisch im Wasser“ (Mao).
Die „geographische“ Lage der Gebäude war der Block 109 im Zentrum Berlins in Kreuzberg „SO36“. Und da das Symbol des Regenbogens ohne Zweifel für Schönheit steht und Hoffnung signalisiert, hatte unser Projekt dann auch schnell einen offiziellen Namen: Ach so: Als Verein mussten wir uns natürlich auch eintragen lassen:
“Kinder-, Kultur- und Nachbarschaftszentrum Regenbogenfabrik Block 109 e.V.“
Neben den Beziehung(skist)en musste auch die Außendarstellung gepflegt werden, mithin das, was heutzutage Public Relations, kurz: PR genannt wird. Das heißt, wir mussten allen möglichen und unmöglichen Leuten klarmachen, dass wir nicht nur intelligent und schön, sondern auch notwendig (oder wenigstens wichtig) waren. Der harte Verhandlungsweg begann: “You can´´´´´ t always get, what you want“ (Rolling Stones). „Das“ wussten wir. „All or nothing“ (Small Faces) war eine schöne Parole, praktikabel war sie nicht.
Wir konnten die Fabrik nur retten, indem wir auf einige von uns besetzte Geländeteile und Gebäude verzichteten. Die bitterste Pille in diesem Prozess war zweifelsohne die Räumung des „Lausehauses“, ein geplantes gemeinsames Wohnprojekt für Menschen deutscher und türkischer Herkunft. Eigentlich hatten wir bereits die Unterstützung der damaligen Ausländerbeauftragten Barbara John. Unsere PR hatte geklappt. Aber als Frau John von der „Illegalität“ der Sache erfuhr, bekam sie doch kalte Füße, so dass das „Lausehaus“ geräumt wurde. (Angeblich soll es ihr heute Leid tun: „Frau John, antworten Sie!“)
Noch schlimmer war nur eins: Wir waren ziemlich zerstritten: Welche Bedingungen können wir noch akzeptieren, welche nicht? (Die „Grünen“ in ihrer Anfangsphase lassen grüßen.)
Aber verhandeln mussten wir, wenn unser Projekt weiter leben sollte. (Nebenbei kochte die Gerüchteküche ganz gewaltig, so dass es plötzlich hieß, das nächste Objekt auf der Räumungsliste wären entweder der „Kuckuck“ oder die „Regenbogenfabrik“.)
Es gab immerhin 1983 noch einen gemeinsamen Ausflug nach Bonn, den wir nutzten, unser zu braves Image loszuwerden.
Erst nach einer „Spaltung“ mit vorübergehendem Auszug und späterer Rückkehr eines Großteils der Besetzer ließen die innerparteilichen Querelen etwas nach. Wir packten jetzt die dringend notwendige Instandsetzung und Modernisierung des Hinterhauses an.
Der nächste Kraftakt, „viele, viele Stunden Selbsthilfe“ waren jetzt angesagt.
Ich fasse mich kurz: Der jahrelange Arbeitsstress hat sich gelohnt. Von den jetzigen Bewohnern äußert momentan niemand Auszugsgedanken, im Gegenteil: Jeder möchte die Früchte seiner Arbeit genießen.
Und nun wieder der Bogen zur Fabrik: Wir können nicht behaupten, wir hätten keine Unterstützung gehabt. Im Gegenteil: Abgesehen von der bereits erwähnten Unterstützung durch die Nachbarschaft standen auf unserer Seite: Die Internationale Bauausstellung (im Folgenden kurz „IBA“ genannt) und wichtige Stellen des Bezirksamtes und des Senats. Von allen offiziellen Seiten wurde unsere Arbeit anerkannt. Als dann auch noch per Gerichtsbeschluss die Abrisspläne und Neubaupläne der Investoren Vogel/Braun („Wohnbau Design“) gestoppt wurden, waren wir schon am Jubeln. (Damals schon: Im Jubeln bzw. Feiern waren wir schon immer gut.)
Etwas zu früh gefreut:
Die Hinterlassenschaft des Vorbesitzers, der Chemiefabrik Albert Carl, hatte es in sich: Der Boden der Fabrik war (und ist es noch ) total verseucht. Zwar wurde er 1982 auf zwei Meter Tiefe total ausgetauscht, doch wollten weder Senat noch Bezirk Geld in ein derart kontaminiertes Gelände investieren. Weil wir plötzlich wieder völlig perspektivlos waren, beschlossen wir im Januar 1992 eine Neubesetzung. Eine Maßnahme, die Wirkung zeigte.
Im März selbigen Jahres kaufte der Senat das Gelände. Zuvor schon hatten wir einen langfristigen Mietvertrag für das Hinterhaus und den Seitenflügel ausgehandelt. Dementsprechend kann man das Jahr 1992 durchaus als unser „Durchbruchsjahr“ bezeichnen.
Andererseits fiel justement zu diesem Zeitpunkt dem Senat ein, dass er eigentlich überhaupt kein Geld, sondern nur Schulden hatte. (Das ist zwar nicht nur ein Problem des Senats, ich zum Beispiel habe das seit Jahrzehnten. Der Verfasser.) Immerhin gab es keinen Rückzieher, was die Miete betrifft, aber Kürzungen im Kinder-, Jugend- und Sozialbereich, die uns schwer zu schaffen machten. Wie sollten wir die von uns mühsam aufgebauten Projekte ohne Finanzierung weiterführen?
Nun, anders als der Senat, der recht einfallslos seine Fördermittel einstellt, dachten wir uns: wir machen einfach „noch“ mehr aus unseren Möglichkeiten. So entstanden seitdem: Eine deutsch-polnische Begegnungsstätte, neue Musikübungsräume, Gästezimmer, eine Kantine und viel mehr.
Wir wurden Hauptdarsteller einer Schulfernsehsendung der Reihe „Ökologo“ mit dem Titel „Unser kleines Dorf“. Und wir sind zum Teil Schauplatz eines Oscar verdächtigen Films mit dem Titel: „The Constant Gardener“
Zwischendurch haben wir auch immer wieder die Zeit zum Feiern gefunden.
Fazit: Wir haben vor 25 Jahren angefangen, dem herrschenden System etwas entgegenzusetzen, wir haben Rückschläge erlitten, aber auch Erfolge erzielt.
Das System existiert noch.
Wir aber auch!
Wir haben Kinder in die Welt gesetzt und großgezogen, aber auch den Verlust guter Freund:innen erleiden müssen.
Wir haben keine Revolution geschafft, uns aber Freiräume geschaffen und zumindest wohnungspolitische und sozialpolitische Denkanstöße gegeben.
Und wenn uns sonst niemand dafür feiern will, dann feiern wir uns halt selbst!
Aber Du bist herzlich eingeladen.
Oh my friend we’re older, but no wiser,
For in our hearts the dreams are still the same
Sämtliche kursiv gedruckte Texte stammen aus dem Lied „Those were the days“, Text und Musik: Gene Raskin, gesungen von Mary Hopkins, 1968.
Marten Köhler | 19.7.1949 – 27.2.2014
Ein Gedanke zu “25 Jahre”
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