Der Schornstein der Regenbogenfabrik

Der Schornstein in unserer Fabrik ist ein interessantes Überbleibsel aus den Zeiten, in denen außerhalb der alten Stadt auf der grünen Wiese Kreuzberg entstand. So hoch, mit einer schönen Krone, beeindruckt er viele Menschen, auch die Kinder in der Kita:


Kein Wunder, dass der Schornstein auch die Silhouette unseres Logos prägt. Wie hoch es bis zur Krone ist, das weiß ich nicht, doch 20 Meter werden es schon sein.


Für unsere erste Teilnahme am Tag des offenen Denkmals im Jahr 2005 haben wir die Geschichte der Fabrik in den Bauakten recherchiert. Auf einer Ausstellungstafel wird berichtet:

„Auf dem Gelände der Lausitzer Straße 22 entsteht in den 1880er Jahren ein neues Fabrikgebäude. Carl Bliesener, seines Zeichens Tischlermeister, stellt den Bauantrag auf „Anlage einer Schneidemühle mit Dampfbetrieb“. Später heißt es in seinem Briefkopf in der damals üblichen Ausführlichkeit: „Dampf-, Band-, Block-, Walzen- und Fournierschneideanstalt – Fabrik von Scheuerleisten und Bettstellfüssen – Fabrik von Thürbekleidungen und Treppenhandgriffen“.

Bei Blieseners Entscheidung für den Standort seine Unternehmens wird die Nähe zum Landwehrkanal eine entscheidende Rolle gespielt haben. Zum einem bot er den idealen Anlieferungsweg für das Holz, zum anderen brauchte die Dampfmaschine für ihren Betrieb große Mengen an Wasser.

Vor dem Siegeszug der Elektromotoren war die Dampfmaschine die Kraftmaschine schlechthin, die u.a. die industrielle Revolution und damit die Massenfertigung erst möglich gemacht hatte. Mit ihrer Hilfe konnten zentral über sog. Transmissionsriemen viele Maschinen gleichzeitig betrieben werden.

Der Heizraum mit dem Kessel zum Befeuern der Dampfmaschine und einem angegliederten Raum für den Heizer befand sich hinter dem noch erhaltenen Schornstein, dort, wo Längs- und Quergebäude aufeinanderstoßen. Man mag sich vorstellen, wie von hier aus die Transmissionsriemen mit ratternder Geschwindigkeit nach vorne in den eigentlichen Fabrikraum liefen, dem heutigen Kinosaal, um die Sägen, Hobel und Drechselmaschinen anzutreiben.“

Mehr dazu auf unserer Homepage, in der wir die Ausstellungstexte über die Geschichte der Fabrik aufgehoben haben: https://www.regenbogenfabrik.de/tl_files/RBF/PDF/Leben_und_Arbeiten_in_Kreuzberg.pdf

chz
Beitragsfoto: Şerife

Die Müllenhoffstraße

von Werner von Westhafen

Auf der Suche nach Sagen von der See und vom Schifferleben.

Am Mittage des 19. Februars hat der Tod einen großen Gelehrten vom rüstigen Schaffen abgerufen und der deutschen Philologie ihre Zierde und ihren Stolz geraubt. Uns aber, dem weiten Kreise dankbarer Schüler, ist der allverehrte Lehrer, Leiter und Freund entrissen worden, welcher mit wahrhaft väterlicher Liebe jeden einzelnen von uns auf seiner Laufbahn begleitete.

So schrieben die ehemaligen Studenten des Philologen, den man 1884 auf dem Friedhof an der Großgörschenstraße zu Grabe trug und in der Nähe der Gebrüder Grimm bestattete, die wie er von der Welt alter Sagen und Märchen fasziniert waren und es sich zur Aufgabe gemacht hatten, sie vor dem Vergessen zu bewahren. Mit Jacob und Wilhelm Grimm verband den Sagenforscher Müllenhoff nicht nur der gemeinsame Beruf, sondern auch die Passion und die Gewissenhaftigkeit, mit der sich Doktoren und Professoren auf die Suche nach den Überlieferungen des Volksmundes machten.

Von der Leidenschaft der Märchensammler zeugen nicht nur die sentimentalen Nachrufe der Schüler, sondern auch die hinterlassenen Schriften: »In Müllenhoffs Nachlass haben sich 12 Briefe der Brüder Grimm gefunden. Zehn derselben werden mit Erlaubnis der Frau Geheimrätin Fernande Müllenhoff zu Darmstadt unverkürzt« veröffentlicht, zwei von ihnen in der Deutschen Zeitschrift für Literatur nur zensiert publiziert, da »darin Urteile über noch Lebende vorkommen, welche verletzen können.«

Ansonsten geht es in der Korrespondenz der Philologen eher gesittet zu: »Sehr geehrter Herr Doktor« , schreibt Wilhelm Grimm nicht ganz uneigennützig im Dezember 1843 an seinen ehemaligen Berliner Studenten Müllenhoff, der in Kiel als Bibliothekar eine Anstellung gefunden hat. Der ehemalige Lehrer nimmt die Anstellung »mit Vergnügen« und »besonderer Theilname« zur Kenntnis, in den Bibliotheken sei schließlich »noch manches Schätzbare und der Nachwelt zu Erhaltende« zu entdecken.
Wilhelm Grimm, der mit seinem Bruder an einer erweiterten Neuauflage der »Deutschen Sagen« arbeitet, hält das Angebot Müllenhoffs, der Neuausgabe, die eine oder andere seiner Sagen von der See und vom Schifferleben beizusteuern, für einen »besonderen Gewinn.« Der Bruder Jacob sei »mitten in der Arbeit und es würde ihm daher sehr lieb sein, wenn Sie ihm Ihren Vorrat, auf kurze Zeit, gleich anvertrauen würden.«

Müllenhoff schickt seine Legendensammlung unverzüglich an die berühmten Herausgeber und schon im Januar erhält er die Texte wieder zurück, nebst einem Brief von Jacob Grimm, in dem er dem »hochgeehrten Herrn Doktor« überschwänglichen Dank für »die bedeutsame Sage über den Weltuntergang« ausspricht. Aus reiner Bescheidenheit habe er sich »bloß um diese zu bitten gewagt« und keine der anderen Sagen verwendet.
Erst einige Zeilen nach dieser höflichen Einleitung wird klar, dass ihm »jene Sage für das Buch gerade gelegen kam« , während die anderen doch eher unbrauchbar waren.

Immer wieder ist in den Briefen Wilhelm Grimms eine höfliche Herablassung spürbar, vor allem, wenn es um die Nibelungen geht, den Prüfstein aller Germanisten des 19. Jahrhunderts.
Es ist, als wäre Grimm um die eigene Reputation besorgt, wenn er Müllenhoff, der das »Gudrunlied« auf seine Echtheit hin überprüfen und seinen Wandel im Lauf der Zeiten kenntlich machen möchte, davon abrät. Auch Grimm weiß, dass »viele Strophen unechte sind«, aber eine solche Prüfung sei eine undankbare und sehr »mühsame Arbeit«. Er selbst habe viele solcher Arbeiten begonnen und wieder zurückgelegt, in der Hoffnung darauf, »dass ältere und bessere Handschriften« auftauchen und die Arbeit erleichtern könnten.
Als Karl Viktor Müllenhoff dennoch eine überarbeitete Veröffentlichung des Gudrunliedes anstrebt, in der er einige der Grimmschen Korrekturen übernehmen möchte, schreibt sein ehemaliger Lehrmeister: »Ich möchte allerdings das Eigenthumsrecht daran nicht verlieren, da ich eine eigene Ausgabe des Gedichts im Sinn habe.«

Grimm hätte sich nicht sorgen müssen. Müllenhoff war ein leidenschaftlicher, aber auch ein ehrenhafter Wissenschaftler. Der zweite Sohn des Kaufmanns Johann Anton Müllenhoff aus einem kleinen Ort namens Marne an der Nordseeküste, der eigentlich Seefahrer werden wollte, blieb dem Meer stets verbunden. Auf dem Gymnasium in Meldorf hörte er nicht nur phantastisches Seemanngarn, sondern las zum ersten Mal die Nibelungensage, über die er später mit Wilhelm Grimm noch Jahre lang korrespondieren sollte.
1837 ging er nach Kiel, um mit dem Studium der Philologie zu beginnen, 1839 kehrte er der »salzigen See« scheinbar endgültig den Rücken, um bis weit ins Landesinnere nach Leipzig und Berlin vorzudringen, wo er bei jenen Germanistik-Professoren in die Lehre ging, deren Namen ebenso wie der seine später auf den Straßenschildern Kreuzbergs zu finden sind: Lachmann, Ranke und Grimm.

So interessant das Leben für den jungen Mann vom Meer in Berlin auch gewesen sein mag: Er blieb nur zwei Jahre. Dann zog es ihn zurück in seine kleine Stadt am Meer. Es ging ihm wie seinem späteren Freund Theodor Storm, der schrieb: »Doch hängt mein ganzes Herz an dir / Du graue Stadt am Meer / Der Jugend Zauber für und für / Ruht lächelnd doch auf dir, / Du graue, graue Stadt am Meer.«

Am Meer schrieb Müllenhoff seine Doktorarbeit über die Theologie des Sophokles, an der Universität in Kiel unterrichtete er Deutsch, Literatur und Mythologie und 1845 veröffentlichte er, ebenfalls in Kiel, sein erstes Werk, eine Sammlung nasskalter Sagen, Märchen und Lieder aus den Herzogtümern Schleswig, Holstein und Lauenburg, die er mit dem Historiker Theodor Mommsen und seinem Freund Theodor Storm zusammengestellt hatte.
So war das Meer auch in der Schreibstube des Gelehrten allgegenwärtig.

Siebzehn Jahre nach seiner Heimkehr an die Nordseeküste aber berief man Müllenhoff als Professor an die Berliner Universität – ein Ruf, dem er nicht widerstehen konnte. 1864 wurde er als Nachfolger Jacob Grimms sogar in die Akademie der Wissenschaften gewählt.
Er hatte endlich das Erbe seiner Lehrer angetreten.

Herzlichen Dank an die

Widerstand ist machbar, Frau Nachbar

Eine Lange Nacht im Deutschlandfunk Von Günther Herkel | 18.02.2012

Gegen die Auswüchse einer Stadtpolitik, die das Recht auf Wohnen Kapitalinteressen auslieferte, regte sich in diesem Lande periodisch organisierter Widerstand. Erste Proteste richteten sich Anfang der 70er-Jahre gegen Immobilienspekulation im Frankfurter Westend.

Gut zehn Jahre später wurden in Westberlin an die 160 Häuser „instandbesetzt“.

Eine Bewegung, die nach dem Fall der Mauer auch den Ostteil der Stadt erfasste. Antriebsfeder war nicht nur der Wunsch nach erschwinglichem Wohnraum und der politische Kampf gegen eine profitorientierte Sanierungspolitik, sondern auch die Lust auf selbstbestimmte alternative Lebensformen.

Und heute? Einige der damals erkämpften Freiräume existieren noch, andere sind akut bedroht.

Kommunale Wohnungsbaugesellschaften werden privatisiert, Mieten steigen, Menschen mit geringem Einkommen werden aus ihrem Kiez verdrängt – triste Realität im bundesdeutschen Alltag.

Auch die Träume der Besetzer von einst stehen heute auf dem Prüfstand: Taugen die alten Ideen noch für die neuen Zeiten? Was wurde aus den einstigen Zielen? Gewinnen sie möglicherweise heute wieder an Aktualität? Streiflichter auf Häuser und Besetzer in Frankfurt/Main, Berlin, Hamburg und anderswo.

Weiterlesen: https://www.deutschlandfunk.de/widerstand-ist-machbar-frau-nachbar-102.html

Beitrags-Foto: „Bobby Sands Haus“ in der Bülowstraße 89 von Ulrich Sauerwein aus:

Die Dudenstraße Nr. 10

von Werner von Westhafen

Mit der schlichten Gestaltung wurde die Ära der »Neuen Sachlichkeit« eingeläutet. Doch die Schlichtheit kostete Milionen!

Als 1848 in Mainz die erste deutsche Buchdruckerversammlung tagte und der National-Buchdrucker-Verein ins Leben gerufen wurde, ging es den versammelten Arbeitern darum, einen gerechten Lohn für ihre Arbeit auszuhandeln. Noch heute gibt die IG-Medien vor, sich für die Rechte der Drucker und Setzer einzusetzen. Doch spätestens seit sich der Nachfolgeverband der Deutschen Buchdrucker zum Kauf einer eigenen Immobilie entschloss, war es mit der Arbeiterromantik vorbei.

Mit dem Argument, man brauche, um einen »graphischen Industrieverband zu schaffen«, ein eigenes Haus, »in dem man zusammenfinden« könne, versuchten die Bonzen, ihre Mitglieder von der Notwendigkeit der Investition zu überzeugen. Dahinter standen jedoch jene rein spekulativen und kapitalistischen Interessen, gegen die die Gewerkschaft bislang so vehement angekämpft hatte.
Im September 1924 erklärte der Vorsitzende, dass allein der Kauf der SPD-Druckerei in Leipzig und des Bürohauses in Kreuzberg die Gewerkschaft vor dem finanziellen Untergang gerettet hätte. Durch die Inflation war die »Papiermark« in den Kassen der Gewerkschaft ein »Kapital«, das »in kürzester Zeit nichts mehr wert gewesen« wäre.

Und um auch in Zukunft nicht zu verarmen, beschloss die Gewerkschaft, ein eigenes Gewerkschaftshaus in Berlin zu errichten. Gekauft wurde ein Grundstück in der damaligen Dreibundstraße, der heutigen Dudenstraße.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die streitfähigen Drucker mit kleinen und kostengünstigen Mietwohnungen im Chamissokiez begnügt. Bis 1894 waren die Büros in der dritten Etage der Solmsstraße Nr. 31, später in der dritten Etage am Chamissoplatz Nr. 5.
Als letzteres zum Verkauf ausgeschrieben wurde, entschloss sich der Verband zu investieren, um sicher zu sein, dass man die Gewerkschaft »nicht auf die Straße setzt.« Für 246.000 Mark wechselte die Immobilie am 29. Juni 1921 den Eigentümer, erst 1982 wurde sie weiterverkauft.

Drei Jahre später kaufte die Gesellschaft das Grundstück an der ehemaligen »Straße Nummer 6, Abt. III« für abermals 277.500 Mark. In einer Rede hieß es, dass die Immobilie noch »an Wert gewonnen« habe, da nun auch die »Untergrundbahn bis dorthin geführt« werde.
Heute liegt der Wert des Grundstückes an der damaligen Dreibundstraße mit dem inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Gebäude längst im achtstelligen Bereich. Finanziert wurde das Geschäft mit den Beiträgen der Mitglieder, die fast zwei Jahre lang wöchentlich 20 Pfennige mehr zu bezahlen hatten. Ein Betrag, der damals zu heftigen Kontroversen führte.

Dass der Verband der Buchdrucker einen so namhaften Architekten wie Max Taut beauftragte, der bei dem Bau nicht sparte, begründete der Vorstand damit, dass längerfristig betrachtet teures Material die beste Investition sei. Schon 1924 wurde mit den Arbeiten begonnen; die Kosten aber stiegen von den veranschlagten 800.000 Reichsmark auf 3 Millionen, wovon die Hälfte aus den Taschen der Mitglieder gekommen war.

Den Stararchitekten und seinen Bauleiter Franz Hoffmann interessierte es wenig, woher das viele Geld kam. Als nach zwei Jahren Bauzeit das »Verbandshaus der Deutschen Buchdrucker« mit seinem großen Saal im 5. Stock und dem »Sonnendach« mit den Liegestühlen, den 18 großen Wohnungen im Vorderhau und den hellen Maschinenräumen für die Drucker im Haupttrakt fertiggestellt war, zeigte sich die Presse landauf, landab begeistert. Man schrieb von der angebrochenen Ära der »Neuen Sachlichkeit«. Die Berliner Volkszeitung sprach von einer »Kulturtat«, die renommierte Weltbühne lobte die »von allen Formeln, Motiven und Interessantheiten absehende Gesinnung« und einen »urgesunden Organismus«, und die Vossesche Zeitung schwärmte, dass alles »auf den schlichten Ausdruck des Zwecks« ausgerichtet sei und feierte den Verzicht auf die wilhelminischen »Klunkerfassaden«.

Das beherrschende Formelement sind die rechten Winkel und der Verzicht auf jede Art von Schnörkel. Alles an diesem Haus ist rechteckig, wenn nicht quadratisch. Die Gullideckel, das Schachbrettmuster der Fliesen im Flur, selbst die großen, rechteckigen Fenster der Loggien im Vorderhaus mit den großen Wohnungen hat Taut nochmals in kleine Quadrate unterteilt. Das Taut-Haus in der Dudenstraße ist eine Ode an die Strenge der Symmetrie, eine Hymne an die Klarheit der geraden Linien. Lediglich das Treppenhaus mit dem Fahrstuhl im Seitenflügel scheint in seiner Verspieltheit aus Messing, Glas und schwarzem Granit etwas vom Prinzip der strengen Linienführung abzuweichen. Das Messinggeländer des Handlaufes an der Treppe schwingt sich wie ein Blütenstängel in die Höhe und die Messingknäufe an der zweiflügeligen, ganz gläsernen Fahrstuhltür sind tatsächlich rund, nicht etwa viereckig.

Jahrelang ratterten die schweren Maschinen im Haus der Drucker, wohnten Menschen friedlich im Vorderhaus, sang der 1879 gegründete Typographia-Chor mit seinen 200 Sängerinnen und Sängern in der Aula unter dem Dach. Dann brachen die Nazis, später die Russen in das Haus ein.
Stille kehrte ein. Nur allmählich begannen die Maschinen, wieder zu rattern und druckten das »Montagsecho«, das »Fleischerblatt« oder das »Petrosblatt«. In einem Traditionshaus, in dem die Büchergilde Gutenberg einst Jack London und B. Traven druckte.

Heute ist das Verdi-Haus in der Dudenstraße ein Bürohaus; die »Immobilienverwaltungsgesellschaft der ver.di mbH« begnügt sich damit, die Räume der Immobilie zu vermieten.

Vielen Dank an die