Den Frühling im Jahr 1997 behalte ich für immer im Gedächtnis.
Das war mein erster längerer, ein paar Monate andauernder Aufenthalt in Berlin. Damals habe ich Christine kennengelernt. Zum ersten Mal haben wir uns an einem warmen Nachmittag im April getroffen. Das war der Anfang, der bis heute andauernden Freundschaft.
Christine hat vor mir die Orte von Berlin entdeckt, die ich als Touristin nie gefunden hätte. Ich konnte die Stadt mit ihrer wunderschönen Architektur, Geschichte und Kultur gleich zusammen mit der Regenbogenfabrik kennenlernen, die für mich zu einem merkwürdigen Zentrum der Stadt geworden ist. Dank Christine habe ich jahrelang die Idee der vielfältigen, außergewöhnlichen und bunten Regenbogenfabrik erkundet, die freundlich zu den Menschen, tolerant und offen für die Sozialbedürfnisse der Gesellschaft im multikulturellen Berlin ist.
In fast drei Dekaden habe ich an verschiedenen Projekten, die von der Regenbogenfabrik und der Städtepartnerschaft Berlin – Szczecin durchgeführt wurden, teilnehmen können. Im Rahmen der Mitarbeit zwischen Deutschland und Polen wurden u.a. deutsch – polnische Sprachkurse organisiert. Es sollte in dem Zusammenhang das Projekt „Gryfino – 1988“ erwähnt werden, in dem parallel zwei Sprachkurse liefen: ein Polnisch-Sprachkurs für Berliner und ein Deutsch-Sprachkurs für Stettiner. Ich, eigentlich Deutschlehrerin, habe Polnisch unterrichtet. Das war für mich etwas ganz Neues. Anlässlich dieses Aufenthalts in Gryfino habe ich an vielen Veranstaltungen teilgenommen, die den Teilnehmern aus den Städten Gryfino und Szczecin ihre Gegend näher gebracht haben.
Besonders warm erinnere mich an einen Polnischsprachkurs, der im Wohnhaus der Regenbogenfabrik, im gemütlichen Dachgeschoss, in bester Atmosphäre beim morgendlichen Kaffee und Frühstück veranstaltet wurde. An dem Kurs haben Christine und Dorothea teilgenommen. Das waren die anspruchsvollen Schülerinnen, die von der Lehrerin ein besonderes Engagement erwartet haben. Als Lehrerin haben mir die Unterrichtsstunden viel Spaß gebracht. Sie waren für mich eine bedeutende Berufs- und auch Lebenserfahrung.
In der Zeit vor den Feiertagen, vor allem vor den Weihnachtstagen, hat jedes Jahr hat das polnisch-deutsche Kochevent stattgefunden. Am festlichen Kochen haben Leute teilgenommen, die mit der Regenbogenfabrik befreundet waren. Es ginge nicht nur um das Kennenlernen und die Vorbereitung der festlichen Speisen, die für das jeweilige Land charakteristisch sind, sondern auch um das Kennenlernen der Bräuche, die mit der Festkultur in den beiden Ländern verbunden sind. Das war ein vortreffliches Vergnügen, nicht nur die Gaumenfreuden; es war auch sinnliche Nahrung.
Sehr nett erinnere ich mich an die Radtouren und die Spritztouren außerhalb von Berlin. Eine von solchen Veranstaltungen war eine Radtour, die am 9. Juli 2001 stattgefunden hat. Dabei waren nur Berliner:innen; die einzige, die nicht aus Berlin kam, war ich.
Die Tour wurde „Radtour rund um das Stettiner Haff“ genannt, aber die Idee des Unternehmens konzentrierte sich auf Erkundung der Grenzgebiete in Deutschland und Polen mit ihrer Geschichte. Das war nicht nur Herausforderung für meine Kondition, für mein Fahrrad war es die echte Probe der Widerstandfähigkeit. Zur Regenbogenfabrik gehört die Fahrradwerkstatt, die früher auch Fahrradklinik genannt wurde. Da kann man selbst, mit der Hilfe der dort arbeitenden Leute, sein Fahrrad für die Fahrt vorbereiten. Sie haben sich durch besondere Geduld und großes Talent für die Weitergabe des Wissens, wie das Fahrrad funktioniert, ausgezeichnet.
Dank ihnen hat mein Fahrrad manch eine Radtour unversehrt überstanden.




Ungewöhnlich ist für mich, dass sich in der Regenbogenfabrik die europäischen und Welt-Wege kreuzen. Menschen aus allen Erdteilen besuchen den Ort. Jede:r kommt mit einer einmaligen Geschichte. Mehrfach habe ich Menschen getroffen, die politisches Asyl bekommen haben und Zuflucht finden konnten.
Bis heute komme ich mit meinen Freunden, mit meinen Verwandten zur Regenbogenfabrik. Sie werden von den Bewohner:innen immer herzlich begrüßt. Sie erleben, ähnlich wie ich, die Werte der multikulturellen Regenbogenfabrik, die zu ihrer Grundlage geworden sind.
Unser Gedächtnis ist unvollkommen; da ist eine Mischung von Erfahrungen, Gesprächen, Gefühlen im jeweiligen Moment und viele Sachen werden dann doch vergessen. Deswegen habe ich mich nur an manche Ereignisse während meiner Aufenthalte in der Regenbogenfabrik zurückerinnert. Dieser Ort hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt, hat meinem Leben frischen Sinn gegeben, es angereichert, Einfluss auf meine Gedanken gehabt, auf meine Wahrnehmung der Wirklichkeit, die in den neunziger Jahren so anders als in Polen in der Transformation war – und zur Zeit verschiedenen Veränderungen unterliegt. Unzählige Gespräche waren für mich eine besondere Lektion über Demokratie. In diesem Millieu habe ich viele Werte wie Toleranz, Freundlichkeit den Menschen gegenüber, Offenheit für andere Menschen, Selbstlosigkeit, nicht absagen der Bitte, die mit voller Achtung und Neugier auf einfache Menschen erleben können. Die Freundschaft spielt da die bedeutsame Rolle in der Entwicklung und Dauer der Gemeinschaft der Bewohner:innen. Niemand wird von niemandem bewertet, kritisiert. Jede und Jeder, auch als Zugereiste, fühlen sich wie zu Hause. Da konnte ich mehrfach selbst auf Unterstützung der freundlichen Menschen rechnen.
Immer wenn ich zur Regenbogenfabrik komme, begleiten mich einzigartige Emotionen, die warme Erinnerungen hervorrufen. Die Magie dieses Ortes verzaubert jeden, der sie erlebt hat.

Alina Chelstowska