1987 | Räume für Kinder

Kindertagesstätten in der Stadterneuerung durch Umnutzung und Neubau
– 26 Projekte in der Luisenstadt und im Strategiengebiet Kreuzberg SO 36

Ein Beitrag von Anette Schill über die Elterninitiativ-Kindertagesstätte Kinder- und Jugendbereich „Yapma“ Regenbogenfabrik Lausitzer Straße 22

Auszug: Offene Kinder- und Jugendarbeit

Als vor nunmehr fast sechs Jahren das Gelände der Regenbogenfabrik besetzt wurde, trafen die Instandbesetzer auf eine zahlenmäßig ziemlich beachtliche Gruppe, die schon weit früher und auf unspektakulärere Weise den nämlichen Akt vollzogen hatte. Es waren die Kinder und Jugendlichen aus der unmittelbaren Nachbarschaft, deren Findigkeit das brachliegende und so wunderbar verkommene Fabrikgrundstück mit seinen brüchigen „Schuppen“ und der interessanten Schrottsammlung natürlich keineswegs entgangen war und die sich dort den scheinbar tollsten – tatsächlich hochgradig vergifteten! – selbst verwalteten Abenteuerspielplatz erobert hatten.

Die neuen Besetzer wurden von ihnen zunächst misstrauisch beäugt, doch bald schon ließen sie sich überzeugen, dass der Zugewinn durch Spielaktionen und gelegentliche Kinderfeste die partiellen Einmischungsversuche in ihre gewachsene Selbstorganisation, ja sogar Schimpfkanonaden wegen Werkzeugklaus oder Gewalt-gegen-frisch-eingesetzte-Fensterscheiben-Orgien bei weitem wettmachte.

Als dann gar eine ortsansässige kleine türkische Fußballmannschaft, alle zwischen 10 und 14 Jahren junge auf dem Besetzerplenum auftauchte und erwartungsvoll den Antrag stellte, sich nach den bewunderten Okkupanten „F.C. Regenbogen“ taufen zu dürfen, reagierten die gerührten und selbstverständlich geschmeichelten – Instandbesetzer nicht nur mit Zustimmung zu diesem Ansinnen, sondern stellten ihren Fans auch einen selbstverwaltbaren Raum zur Verfügung, der noch nicht unmittelbar für andere Zwecke genutzt werden konnte.

1. FC Regenbogen

So fing das alles, was das Zusammenlegen der alten kleinen und der neuen großen Besetzer betraf – von alltäglichen Banden – oder Clan-Kämpfen sowie gelegentlichem Zank zwischen den Kindern und den Regenbogenfabriklern einmal abgesehen – recht idyllisch an.
Und das blieb im Wesentlichen so, während der Jahre der Illegalität und der vergeblichen Bemühungen um finanzielle Unterstützung dieser Kinder- und Jugendarbeit, wenngleich der zermürbende Abwehrkampf gegen Räumungsgelüste staatlicher und spekulantenseits, zunehmend zeitraubender Instandsetzungsarbeiten und der Zustrom weiterer Kids aus dem mit pädagogischen Einrichtungen und Spielplätzen dünnbesäten Umgebung eine wirklich kontinuierliche Arbeit nur auf ehrenamtlicher Basis zunehmend unmöglich machte.

Die Frage einer Professionalisierung der Kinder- und Jugendarbeit in der Regenbogenfabrik stellte sich im Interesse einer kontinuierlichen Betreuung sehr früh und entsprechend dem Charakter der schon vorgefundenen naturwüchsigen Struktur war von vornherein klar, welchen Kriterien eine solche Arbeit würde genügen müssen. In den Diskussionen der hauptsächlich Kinderinteressierten kristallisierten sich vier Grundbedingungen heraus, die zur Bewältigung der bereits existierenden „Belegung“ des Geländes mit genau diesen, ganz überwiegend ausländischen Kindern vonnöten wären:

  1. Kriterium Offene Kinderarbeit, die nichtselektiv die schon anwesende kleine bis mittelgroße „Klientel“ als ganz einbeziehen und Rücksicht nehmen musste auf die mit der Eigenverantwortlichkeit stark verfestigte Tendenz zur Unabhängigkeit sowie auf die kulturelle Ungewohntheit von außerschulischer pädagogischer Betreuung.
  2. Kriterium Kinderarbeit mit altersmäßig extremer Spannweite“, die die verwandtschaftliche/geschwisterliche Verantwortungshierarchie der ausländischen Kinder zunächst – mit noch nicht absehbarer Folgeentwicklung – miteinbauen wollte, da qua kultureller Verwurzelung und straßenadäquater Selbstorganisationslösung akzeptiert werden sollte.
  3. Kriterium „Multikulturelle Kinderarbeit“, die alle vorhandenen Nationalitäten einbeziehen sollte, die zunächst platzbeherrschenden kurdischen, türkischen und palästinensischen Kinder hatten sich unter dem Schutze erwachsener Aufsicht allmählich auf die „Minoritäten“ der Umgebung erweitert: Deutsche, DDR-Deutsche, Jugoslawen und zuletzt Griechen.
  4. Kriterium „Nachbarschaftlich orientierte Elternarbeit“, die gemäß den allgemeinen Zielvorstellungen der Regenbogen-Besetzten einen Schwerpunkt auch in der Kinderarbeit bilden sollte und die zudem aus den Erfahrungen mit der anfänglichen Reserviertheit den „Hippies“ gegenüber sowie mit den stark verwurzelten gegenseitigen Vorurteilen der jeweiligen Nationalitäten dringend geboten erschien.

Mit dieser vorläufigen Bestandsaufnahme über die Richtung, die eine sich schrittweise entwickelnde und sich professionalisierende Kinderarbeit einzuschlagen hätte, wurde schon bald nach der Inbesitznahme des Regenbogenfabrik-Geländes mit dem Abklappern potentieller Geldquellen begonnen.

Zuschauer:innen

Die Ergebnisse dieser Fühlungsnahmen waren niederschmetternd: positive Gutachten über die Gesamtkonzeption von Nachbarschaftsarbeit in der Regenbogenfabrik und die in diesem Rahmen geplante Kinder- und Jugendarbeit waren durchaus wohlfeil zu haben. Überzeugt von den Ideen und dem Engagement der Regenbogenbesetzer überboten sich Bezirk und Senat, Internationale Bauausstellung und Standortorganisationen, Sozialprojekte und Kirchen, Anwohner wie Kiez-VIPs in wohlwollenden Stellungnahmen und Unterstützungsversicherungen.

Konkrete finanzielle Hilfe für die projektierte Kinder- und Jugendarbeit aber kam
– gemessen an den ersichtlich gewordenen Notwendigkeiten – nur tröpfchenweise und speiste sich überwiegend aus dem privaten Engagement von Initiativen oder Individuen. So finanzierte die katholische Kirche St. Michael aus der Kreuzberger Waldemarstraße übergangsweise eine Honorarkraft für offene Spielplatzbetreuung: so engagierte sich die IBA für die vordringliche Entgiftung des täglich genutzten Spielgeländes; so trafen von vereinzelten Sachbearbeitern unterschiedlicher Ämter und Abteilungen Möbel, Spielgeräte und Gartenwerkzeugspenden ein; so unterstützte und finanzierte die Jugendförderung des Bezirks Kreuzberg als einzige der eigentlich zuständigen Stellen eine Großpflegestelle und half dadurch, wenigstens einen kleinen Trakt des Fabrikgebäudes mit tagtäglichem Kinderleben zu erfüllen.

Für die ursprünglichen Kinder-Besetzer aber änderte sich dadurch insgesamt nicht viel: einer halbjährig bezahlbaren Honorarkraft standen über vier Jahre von notgedrungen sporadischer Ehrenamtlichkeit gegenüber, in vergiftungsgefahrlosen und doch weitgehend wieder selbstüberlassenem Spiel setzten sich immer wieder die „harten Gesetze der Straße“ gegen die Schwächeren und Minoritäten durch. Ebenfalls aber kaum eine Veränderung brachte die einzige auf der Regenbogenfabrik geförderte Kindergruppe, die Großpflegestelle, der es trotz eifrigen Bemühens nicht gelang, dauerhaft jüngere Kinder aus dem vorhandenen multinationalen Potential an sich zu binden. Weil nämlich den ausländischen Eltern deren Versorgtheit durch die älteren Geschwister gewohnheitsgemäß gewährleistet schien, weil ohnehin keine Möglichkeit zur Mitaufnahme derselben qua Förderungs-Richtlinie gegeben war und weil den Eltern diese Organisationsformen allemal fremd war, musste sich das Engagement der Erzieher und der mithelfenden Eltern daher auf gelegentliche gemeinsame Spielaktionen beschränken, die zudem bei der Unübersichtlichkeit und Fluktuation innerhalb der Gruppe der infrage kommenden etwa gleichaltrigen kleinen „A…Klientel meist im Chaos und mit der Verweigerung der eigentlich Betreuten endete.

Hoffest

Ein dazu paralleler Versuch, das Problem des vorhandenen Kinder an wenigstens einem Zipfel zu packen, indem man mit einigen schon aufgeschlossenen Familien der Nachbarschaft eine Kita für ältere und altersgemischte Kinder anging, scheiterte an der offensichtlich falschen Ortswahl das auserkorene Parterre der Fabrik vorgelagerten Stockwerkes, die als multinationales Projekt ausgewiesen waren, sang- und klanglos geräumt.

Weitere xxx Förderungsmöglichkeiten scheiterten an den immer gleichen beiden Klippen: „Offene Kinderarbeit“ wurde und wird von den Jugendförderungen nicht weiter finanziert und die „Berliner Linie“ des Umgangs mit besetzerischen Elementen untersagt prinzipiell eine Mittelvergabe auf die unterstützungswürdigsten Aktivitäten im Rahmen nichtlegalisierter Inbesitznahme-Verhältnisse.

So entstand dann, im Vakuum der zunächst gescheiterten Pläne in Bezug auf eine offene Kinder- und Jugendarbeit in der Regenbogenfabrik, immerhin erst mal genügend Raum für eine kritische Würdigung und Revision des bisher Entwickelten. Die begrenzten Förderungserwartungen vor allem aber auch die zunehmenden Erfahrungen aus den Spielaktionen und die nähere Bekanntschaft mit den Kindern, den Eltern und ihren jeweiligen Lebensumständen und Problemen erlaubten, den Rahmen des Machbaren und Wünschenswerten immer präziser abzustecken.

So wurden allmählich auch die zu erwartenden Mängel einer bloßen Konzipierung von offener Kinderarbeit sichtbar. Ins Auge springend war von vornherein das Bedürfnis der meisten Kinder selbst nach intensiveren Kontakten mit den zeitweiligen Spielplatzbetreuern: diese stellten für fast alle ausländischen Kinder, aber auch für die deutschen „Straßenkinder“ aus überwiegend problembeladenen Unterschichtsfamilien die ersten Erwachsenen dar, die sich spielerisch intensiv mit ihnen befassten und die so natürlich permanent individuelle „Krall-Versuche“ auf sich zogen.
Die Unmöglichkeit, diesen allzu verständlichen Verhaltensweisen gleichzeitig entsprechen zu können, verschlechterte die Situation auf dem Gelände, indem sie Ursache wurde für heftige Konkurrenzkämpfe auch innerhalb der ehedem eher solidarischen Grüppchen wurde. Auch wurde mit fortschreitender Beobachtung dessen, was inmitten dieses Gewimmels von 2-14jährigen, nationalitäts-…-geschlechtermäßig mehr oder weniger gespaltenem Haufen wirklich en Detail ablief. Klar, dass eine eingehende Betreuung der damit verbundenen Probleme unerlässlich war, und dass nur ein etwas festerer Rahmen mit täglichem Umgangszwang die immer deutlicher sichtbaren Rassismen, Sexismen und die oft in Gewalt oder Bevormundung ausartende Verantwortlichkeit der Älteren gegenüber den Jüngeren würde aufweichen können.

Was darüber hinaus noch mit wachsendem Vertrauen zwischen den zeitweiligen Betreuern und den Betreuten an Erzähltem herauskam, häusliche Verhältnisse etwa, Sonderschulbesuche oder kriminelle Aktivitäten, manchmal alles zusammen, ließ allmählich auch die buntverlockensten Vorstellungen von allen Möglichkeiten eines schwerpunktmäßig offenen Kinderarbeits-Projekts auf der Regenbogenfabrik etwas verblassen – zugunsten der Einsicht, dass für alle vorhandenen Kinder und Jugendlichen eine solide Basis von drei bis vier festen Betreuungseinrichtungen mit Gruppenstruktur vonnöten sein würde.

Für eine solche Fundierung würde zudem auch die effiziente Finanzierbarkeit nach der Legalisierung der Regenbogenfabrik sprechen: auf der anderen Seite war klar, dass sich eine legale Aufsplitterung des vorhandenen Potentials auf die vorgesehenen Kindergruppen mit unterschiedlichen Altersstufen ebenfalls als Fehllösung entpuppen müsste. So war ja aus den Erfahrungen bei der Gründung der Großpflegestelle, die seinerzeit mit dem ausländischen und den deutschen Unterschichtseltern gemacht worden waren, schon die Aversion gegen die ihnen als H und Dr“ erscheinenden Eröffnungstermine, dem Unbehagen an einer Aufteilung ihrer Kinder in diverse Gruppen, ihre Skepsis gegen organisierte feste Betreuung mit etwaigen Verpflichtungen, die sie im Vorhinein eingehen sollten, sowie gegen außerschulische Erziehung an sich bekannt. Damit würde sich also gangbarer Weg zur Strukturierung sukzessiver Einrichtung solcher Gruppeneinrichtungen wer zudem zunächst Ausschlüsse notwendig, würden Konflikte zwischen schon „Gruppen“-Kindern und den restlichen vorprogrammiert, würden ganze Teilgruppen von sich aus absagen, wenn nicht alle Mitglieder dabei sein könnten …  Kurz: eine rigide Einteilung auf Einzeleinrichtungen könnte vielleicht Ergebnis dieses ausführlichen Diskussionsprozesses der Kinder-Interessierten auf der Regenbogenfabrik sein, dass weder eine rein einzelgruppenorientierte noch eine nur offene Kinderarbeit möglich sein würde.
Aus dieser Schlussfolgerung wurde die Grundkonzeption einer halboffenen / halbgeschlossenen Mischlösung geboren, die schrittweise institutionelle und finanziell abgesichert werden und mit einsetzender intensiverer Praxis allen noch möglichen Veränderungen und Verbesserungen zugänglich sein sollte.

Kinderspiel im alten Fabrikhof

Ein notwendiges Nebeneinander von verschiedenen Aktivitäten und Gruppen war plan- und durchführbar durch die außergewöhnlichen Möglichkeiten, die das Gelände mit seinem weitläufigen „Garten“ (zumindest in spe!) und den diversen, wenngleich noch teils unbenutzbaren Räumen hat.
Beim schrittweisen Ausbau in Selbsthilfe solle von vornherein eine kindergerechte Bebauung und Ausstattung auch der nicht zum eigentlichen Kinderbereich gehörenden Räumlichkeiten wie Tischlerei, Fahrradwerkstatt, Kultur- und Filmraum, Metallwerkstatt, Musikübungsräumen vorgesehen werden. Der Fabrikhof sollte schwerpunktmäßig als Spielgelände von den Kindern und Jugendlichen selbst mit Spielplatzgeräten und Hüttchen bestückt sowie begrünt werden, aber gleichzeitig als Nachbarschaftsbereich mit Sitzbänken, Grillstellen, Tischen, lauschigen Ecken, auf die die Eltern verweilen können und die für die übrigen Anwohner attraktiv werden und gelegentlichen Stadtteil-, Kinder- und sonstigen Festen, Open-Air-Konzerten, Freilufttheatern und vielleicht sogar gelegentlichen Freilicht-Kinovorstellungen Raum geben.
Da die Vielfalt der Möglichkeiten ohnehin jeden Wochenplan zu sprengen vermochte, sollten die diversen Angebote abwechselnd und nach den jeweiligen Bedürfnissen gestaltet sowie nach den ersten Arbeitserfahrungen erweitert bzw. modifiziert werden.

Daneben sollten zudem für die ständig anwesenden Jugendlichen – mittlerweile ebenfalls auf weit mehr als eine Fußballmannschaft angewachsen – zusätzliche Angebote gemacht werden. Darin sollten auch die sogenannten „Lückenkinder“ einbezogen werden; also diejenigen, die wegen ihrer Zwischen-Kinder- und Jugendlichen-Altersgruppe aus sämtlichen Förder-Richtlinien herauskippen. Ideen dazu gingen in die Richtung von Holz- und Metall-Werkkursen, Fahrradzusammenbau und –Reparatur. Filmvorführ-Lehrgänge und wöchentliche Jugend-Disco.

Mit diesem bunten Regenbogen-Programm im Hinterkopf gelang es den Kinder-Befassten endlich Mitte 1985, im Hinblick auf die bevorstehende Legalisierung Starthilfe-Gelder für den Ausbau zunächst einer Eltern-Initiativ-Kindertagesstätte für 20 Kinder zu erhalten.

Obwohl von Anfang an klar war, dass eine solche Förderung angesichts der geschilderten Ausgangssituation völlig unzureichend sein würde, das Problem des „Herausfallens“ eine bestimmten Gruppe aus dem Gesamtkontingent kaum lösbar sein würde, ein „Run“ der verschiedenen Nationalitäten und Clans zwecks Besetzern dieser Einrichtung mit „ihren“ Leuten einsetzen würde, die Geschwister – und Altersfrage unlösbar sein würde, von Elternmitarbeit geschweige denn von Elterninitiativen keine Rede sein konnte… – trotz aller dieser absehbaren Misslichkeiten also entschloss sich eine Gruppe von drei Leuten aus dem Kreise der Kinder-Interessierten dieses einzig mögliche Angebot eine regelmäßigen Finanzierung wahrzunehmen, um auf einer vorerst schmalen Basis die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen auf der Regenbogenfabrik von wenigstens einer Ecke her angehen zu können.

Anette Schill

Fotos: aus der Broschüre