Letztens bin ich in mein Büro gekommen und auf meinem Schreibtisch lag ein altes Plakat eines Konzertes, das in der Regenbogenfabrik noch zur Zeit der Deutschen Mark (wie es der Solibeitrag angibt) stattgefunden hat. Das genaue Jahr haben wir nicht rausgefunden, aber der DIY „Fanzine“ Stil des Plakats erinnerte auf jeden Fall an Ende 80er/Anfang 90er. Scheinbar hat Christine sich an unsere unzähligen Bürodiskussionen erinnert, dass eine skurrile Leidenschaft von mir russische Rockmusik ist, beziehungsweise für eine Band der 80er: Kino.
Natürlich war die Band von Sänger und Liederschreiber Wiktor Zoi nicht hier in der Regenbogenfabrik zu Gast, sondern zwei Bands aus Wolgograd mit den Namen Chozjain Kljutscha und Naprimer, aber bestimmt waren sie auch hervorragend.
Kino ist wohl die bekannteste Rock Gruppe der Perestroika-Ära und Zoi eine Kultfigur in der russischen und sowjetischen Kultur. Nicht nur bekannt: Zoi, der durch seinen vorzeitigen Tod bei einem Autounfall in Lettland 1990 seinen Status als ewiges Jugendidol festigte, wird in Russland richtig verehrt, sogar mit Gedenkmauern überall im Land.
Die Musik ordnet sich in das New Wave Genre der 80er Jahre ein, stark beeinflusst von britischen Bands wie Talking Heads, Joy Division/New Order und Blondie, aber auch von Folk und akustischer Musik wie Bob Dylan und Lou Reed.
Ich habe die Band sehr zufällig entdeckt, in dem ich eines Tages ins Kino (also ins richtige Kino) wollte und der Film Leto (лето, Sommer auf Russisch) gerade rausgekommen war. Da ich und meine Uni-Freundinnen gerade auch mit einem Russisch Sprachkurs angefangen hatten, wollten wir gern mal einen russischsprachigen Film besuchen. Darüber hinaus handelte die Geschichte von Rockmusik, was schon immer mein Herzensthema war.
Der Film erzählt von der Gründung der Band und ihrem Aufstieg zum Ruhm an der Seite einer anderen Band, Zoopark. Liebesgeschichten, Probleme mit dem Militärdienst und die unendliche Suche nach neuen Westschallplatten tragen den Film.
Aber was ihn besonders macht, ist die Ästhetik und natürlich die Musik. In Schwarz-Weiß gedreht, findet man trotzdem Flecken von Farben in Szenen, in denen die Wirklichkeit der Ereignisse infrage gestellt wird. Das Leben der USSR-Jugend wird dadurch realistisch dargestellt; zwar gedämpft von der Strenge des Regimes, aber trotzdem lebensfroh und hoch kreativ. So eine Darstellung ist nicht so häufig, besonders wenn sie von (manchmal wahren aber manchmal übertriebenen) Klischees der westlichen Gesellschaft getragen ist.
Ich liebe die Musik von Kino wegen ihrer sehr einfachen Poesie; es sind überwiegend Alltagsbeobachtungen mit melancholischen Melodien.
Wegen dieser Gruppe habe ich weiterhin versucht, Russisch zu lernen, um ihre Texte selbst zu übersetzen.
Okay, meine Sprachkenntnisse sind definitiv nicht besonders besser geworden, aber die Lieder höre ich immer super gern.
Ich finde es wichtig, sich als Musikfan anderen Horizonten zu öffnen und nicht ständig nur amerikanische und britische Musik als Kult Rockmusik zu betrachten, wo doch andere Länder uns auch sehr vielfältiges und originelles bieten. Klar die Rolling Stones, Nirvana usw. haben ultra viel für die Entwicklung von Rockmusik gemacht, aber in anderen Teilen der Welt, mit einer nicht so westlichen Perspektive, findet man richtige Schätze, deren Bedeutung nicht zu unterschätzen ist:
Kino (Russland)
Rammstein (Deutschland)
Mashrou Leila (Lebanon)
Maneskin (Italien)
Molotow (Mexico)
Téléphone (Frankreich)
Volbeat (Dänemark)
Und viel mehr, die ich selbst nicht kenne, aber die ich gerne entdecken würde. Die Öffnung für Musik anderer Länder kann nur mehr Vielfalt und Schönheit in die Musikwelt bringen.
Charlotte