Polnische Montagearbeiter decken Dach eines Hauses aus Protest gegen ihren Arbeitgeber wieder ab
Weissensee (inh). „Wir haben ein Angebot gemacht, die Sache im guten zu regeln, und jetzt das. Ich kann es kaum glauben.“
Wutschnaubend steht Stefan Teilich, Baubetreuer bei der Berliner Baufirma Wamont vor einem Bauzaun in der Blankenburger Rhönstraße. Auf dem Dach einer der beiden dahinterliegenden Neubauten sitzen polnische Montagearbeiter – Stück für Stück decken sie die bereits verlegten Schindeln wieder ab. „Von ihrem Lohn haben die Leute bisher nur 850 Mark gessehen, also bauen sie wieder ab“, erklärt Sylwester Wawrzynczak, Mitarbeiter der „Zentralen integrierten Anlaufstelle für Pendler:innen aus Osteuropa“ (ZAPO).
Seit August arbeiten die sechs Polen an den Einfamilienhäusern. Angestellt sind sie bei der Warschauer Firma Letrans, die wiederum vom Unternehmen Wamont mit dem Bau beauftragt worden war. Letrans beauftragte für Wamont nicht nur die Arbeiter, sondern lieferte auch sämtliche Baumaterialien. 2.600 Mark Lohn monatlich sollten die Männer für ihre Arbeit in Berlin erhalten. Stattdessen bekamen sie in unregelmäßigen Abständen jeweils einen Hundertmarkschein in die Hand gedrückt. Auf das Angebot von Wamont-Mitarbeiter Teilich, ihnen einen weiteren Abschlag von jeweils 1.000 Mark zu zahlen, wollten sie sich nicht einlassen. „Nach unserer Erfahrung ist es so, dass ein möglichst geringer Abschlag ein beliebtes Mittel ist, damit die Leute nicht aussteigen“, erläutert Martina Teichelmann von der ZAPO: „Ich kenne keinen solchen Fall, bei dem das restliche Geld noch folgte.“
Teilich zeigt für die starre Haltung der Arbeiter kein Verständnis: „Das hier ist für die Leute die schlechteste Lösung.“
Wamont habe pünktlich an den Subunternehmer gezahlt, die Firma Letrans aber habe das Geld nicht weitergegeben. Das Geld, das die Männer bisher erhalten hätten, stamme aus der Kasse von Wamont. „Die Männer wohnen in einer Firmenwohnung, ich habe das Angebot von 1.000 Mark gemacht. Mehr kann ich nicht tun.“
„Die stecken alle unter einem Hut“, meint dagegen Wawrzynczak. Die polnische und die deutsche Firma unterstellten einander gegenseitig, die geforderten Gelder nicht gezahlt zu haben. „Das alles wird auf dem Rücken der Bauarbeiter ausgetragen“, schimpft der Mann von der ZAPO.
Versprechen, das Geld werde gezahlt, hätten die sechs Polen in den vergangenen Wochen häufig gehört. Der „Rückbau“ sei für die Montagearbeiter die einzige Möglichkeit, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, erklärte Wawrzynczak. Um die Aktion zu stoppen, schickte die Firma Wamont per Fax die sofortige Kündigung an Letrans. Denn: Ohne Letrans haben auch die Letrans-Arbeiter keine Rechte auf dem Gelände. Die Polizei kann nichts ausrichten. „Hier handelt es sich um keine kriminelle Handlung, das ist ein zivilrechtlicher Fall“, sagt Wawrzynczak. Ausgestattet mit einer Kopie des Kündigungsschreibens und des Faxprotokolls verließen die Arbeiter die Baustelle.
„So haben sie wenigstens die Chance, ihren Lohn vor einem polnischen Gericht einzuklagen“, sagt Warzynczak. Er hat kaum Hoffnung, dass die Arbeiter die rund 22.000 Mark jemals sehen.
„Seit in Polen ganze Häuser gekauft werden können, erleben wir diesen Betrug immer häufiger“, seufzt Wawrzynczak.
Hintergrund ist eine besondere Rechtslage: Anders als polnische Bauarbeiter, die mit deutschen Materialien arbeiten, brauchen die Montagearbeiter keine Arbeitserlaubnis, sondern nur eine Befreiung von der Arbeitserlaubnis. Dadurch falle die Kontrolle der Behörden weg. In diesem Fall ist zwar eine Arbeitserlaubnis vorhanden, doch die erlischt – heute. Wawrzynczak: „Die Männer müssen zurück nach Polen und haben nicht mal das Geld für die Fahrt.“
Aus dem Tagesspiegel vom 23.10.1997