1. Kreuzberg-Stettiner Sommerfestival

1997 | Wir entwickeln unser Konzept für das deutsch-polnische Begegnungsprojekt. Wie wir schon erzählt haben, es gab in unseren Reihen nur einen Kollegen, der sich jenseits der Oder schon ein bisschen auskannte. Doch auch mitten in Berlin, so brachte er uns bei, leben viele Polinnen und Polen, merkt oft nur keine*r. Wir hatten also viel zu entdecken und so war es eine großartige Gelegenheit, dass wir im Rahmen der Städtepartnerschaft mit Unterstützung des Bezirks dreimal ein großes Sommerfestival ausrichten durften; das erste gleich zweitägig am 16. und 17. August 1997.

Unsere Freundin und Kollegin Doro Knauß hat damals einen Artikel darüber verfasst:

Polnisch-Regenbogenbunt ging es rund …

Partnerschaftsengagement zwischen Kreuzberg und Stettin soll intensiviert werden – Regenbogenfabrik bietet Programm

Eine aufschlussreiche, offene Diskussion, ein multikulturelles Hoffest sowie zwei heiße Nächte mit polnischen und deutschen Bands bildeten den Rahmen für das gelungene Sommerfestival auf der Regenbogenfabrik.
Zusammen mit politisch gesellschaftlicher Prominenz wurden hierbei neue Akzente gesetzt für eine intensivere Annäherung der beiden Partnerstädte. Offene Gesprächsrunden zum Abbau von Vorurteilen, gegenseitige Besuche, Seminare, Workshops und kultureller Austausch prägen das entsprechende Konzept der Regenbogenleute, welches vom Bezirksbürgermeister nicht nur gerne angenommen wurde, sondern künftig auch unterstützt werden soll.

Kräftiges Händeschütteln begleitet von deutsch-polnischem Sprachengewirr, engagierte Musikanten, dazwischen bunt angemalte Kinder, belagerte Info-Tafeln und Stände mit kulinarischen Köstlichkeiten; dieses Bild bot sich am Samstagnachmittag beim Hoffest zum Auftakt des Kreuzberg-Stettiner Sommerfestivals auf der Regenbogenfabrik. Prominenz aus beiden Partnerstädten, Bezirksbürgermeister Franz Schulz, Witold Kaminski, Vorsitzender des Polnischen Sozialrats, aus Stettin Grzegorz Depta und Maciej Denar sowie Beata Sałat, engagierte Studentin an der HU Berlin – sie hatte zur tatkräftigen Unterstützung gleich Freundinnen mitgebracht – bekundeten ihren Willen zur intensiven Zusammenarbeit.

Neueste Errungenschaft der Regenbogenfabrik sind zwei größere Gästezimmer, deren Richtfest auch gleich mitgefeiert wurde. Diese sollen allen künftigen Besucher*innen preiswerte Übernachtungsmöglichkeiten bieten und sie wurden selbstverständlich neugierig in Augenschein genommen.

Heißen Sound boten die polnische Band „Dodna“, „B.Hungry“ und „Los Bigos“ aus Berlin beim nahtlosen Übergang in die Nacht, die mit einem feuchtfröhlichen Zusammensein im Regenbogen-Café bis in die frühen Morgenstunden ihren kommunikativen Abschluss fand.

Chancen und Risiken der Begegnungsarbeit
Festgefahrene Vorurteile, zu wenig Engagement, unterschiedliche Erwartungen sowie fehlende finanzielle Mittel sind Hauptursachen, für die sich seit einem Jahr nur mühselig hinschleppende Annäherung in der Partnerschaft zwischen Stettin und dem Berliner Bezirk Kreuzberg. Dies zog sich wie ein roter Faden durch die sehr aufschlussreiche Podiumsdiskussion am Sonntagmittag. Nach herzlichen Begrüßungsworten und betonter Freude über das „zuhörende Fullhouse“ erläuterte Christine Ziegler die geplanten deutsch-polnischen Vorhaben der Regenbogenfabrik: Man will sich gegenseitig in die Töpfe schauen – Kochkurse sind geplant, die Fahrradwerkstatt bietet Hilfe zur Selbsthilfe an, die ihren Höhepunkt in einer gemeinsamen Radtour nach Stettin finden soll. Für „geschickte Holzwürmer“ sind die Frauen der Holzwerkstatt zuständig. Gegenseitige Gastspiele planen die Musiker*innen, im kulturellen Austausch will sich nicht nur die Kinogruppe engagieren. Es sind entsprechende Seminare und Reisen geplant.

Gleich auf den Punkt kam Osteuropa-Historiker Aloys Ebner, der als Moderator fungierte, als er von einem Widerspruch in den deutsch-polnischen Beziehungen sprach, die sich politisch verbessert, aber zwischenmenschlich verschlechtert haben. Witold Kaminski, Vorsitzender des Sozialrats und seit 16 Jahren in Berlin, schilderte seine Schwierigkeiten, die vor allem mit den bestehenden Vorurteilen und der mangelnden finanziellen Unterstützung zusammenhängen.

Nach einem kurzen Abriss über den deutsch-polnischen Jugendaustausch, der sich in vier Jahren verdoppelt habe, stieg auch Michael Lingenthal, Geschäftsführer des deutsch-polnischen Jugendwerkes, in die Problematik ein, sprach über Vorurteile und Verlust an Kultur und Chancen für die Begegnungsarbeit, da vor allem die polnischen Kinder in Berlin nicht auffallen wollen.

Eine deutsch-polnische Schulpartnerschaft sowie ein aktiver Lehreraustausch prägen das Engagement von Ulrich Fiedler, Oberstudienrat am Carl von Ossietzky Gymnasium. Zusammen mit seinen polnischen Kollegen hat er von 1990 bis 1995 ein Schulbuch erarbeitet, welches unter anderem mit vertauschten historischen Rollenspielen und Collagen Nähe und Verständnis füreinander aufbauen soll.

Erfrischend offen erzählten Małgorzata Berezowska und Matthias Gehrmann von der Liste Spotkanie an der Viadrina Frankfurt/Oder: In ihrem Gremium arbeiten deutsche und polnische Student*innen miteinander und nicht nebeneinander, indem sie unter anderem Info-Reisen organisieren und sich ganz bewusst in Słubice – polnische Stadt nur 10 Minuten von der Uni entfernt – ein Quartier beziehen und noch vieles mehr. Ihr abschließender Appell an die Regenbogenfabrik:
„Kommt nach Słubice – Gastfreundschaft ist euch gewährt und wir werden euch in Berlin gerne einen Gegenbesuch abstatten.“

In lockerer Atmosphäre – alle mischten sich gemütlich „untereinander“ – klang diese Gesprächsrunde im Fabrikhof aus. Noch einmal ging es musikalisch laut her – toleriert von den netten Nachbar*innen – als am Abend bei „wilden Rhythmen“ der Gruppen „Pogodno und „Aliens in Wonderland“, dieses gelungene Kreuzberg-Stettiner Sommerfestival seinen Abschluss fand.

Erfreuliches Fazit: Die von der Regenbogenfabrik begonnene Spendenaktion zugunsten eines vom Hochwasser schwer betroffenen Kinderheimes in Wroclaw, wurde vom Bezirksamt im Rahmen der Kreuzberger Festlichen Tage mit einer Spende unterstützt. Stolze 7.000 DM konnte Elżbieta Blumenbach vom Polnischen Sozialrat in Empfang nehmen.

Lest dazu auch: https://regenbogenfabrik40.blog/2021/04/07/deutsch-polnische-begegnung/