in memoriam – David

Hier ist echte Auferstehung! Georg geht neben mir im Rhythmus der Trommeln und versucht, gegen die Lautstärke anzukommen. Ich antworte ihm mit einem kurzen Kopfnicken, dann lassen wir uns vom Schlagen der Trommeln wieder einfangen und werden mit der Menge weitergetragen. Der Himmel ist wolkenverhangen und leichter Nieselregen geht nieder. Das Wetter scheint so gar nicht zur Stimmung zu passen, die ein bisschen an Karneval in Rio erinnert, so wie ich ihn mir zumindest vorstelle. Aber es ist auch gar nicht Karneval und wir sind nicht in Rio. Wir gehen über nass glänzendes Kopfsteinpflaster in der Hobrechtstraße, Berlin-Neukölln. Und das Wetter scheint dem Anlass angemessen: David wird beerdigt.

Gerade 11 Jahre ist er alt geworden, bevor ein Unfall seinem Leben ein Ende setzte. Mitten im Spiel stürzte die selbstgegrabene Höhle ein, Massen von Sand begraben ihn. Sein Freund wird Zeuge des Unglücks, alarmiert die Feuerwehr, doch jede Hilfe kommt zu spät. Sie haben ihn aufgebahrt, seine Eltern, zuhause, im Wohnzimmer. Und alle kommen, um Abschied zu nehmen von David, dem mutigen Bruder, dem Freund, neben dem in der Schule alle sitzen wollten, dem Clown und Einrad-Artisten vom Kinderzirkus Cabuwazi, dem Jungen mit den vielen Ideen.
Wenn er auf Reisen ging, dann nahm er immer eine leere Tasche mit für die vielen Dinge, die er im Laufe der Reise finden würde. Keine Frage, mit David ist – wie mit jedem Kind, das stirbt – ein Stück unserer Hoffnung gestorben.

Jetzt hat er seine letzte Reise angetreten und wir begleiten ihn ein Stück dabei. Von der Lausitzer Straße in Kreuzberg geht’s zum Thomasfriedhof in Neukölln. Die Stelzenläufer vom Kinderzirkus sperren die Kreuzungen für diesen bunten, merkwürdigen Beerdigungszug mit seiner Mischung von Trauer und Lebensfreude. Die Trommeln schlagen die ganze Zeit „Hier ist Auferstehung!“.
Georg neben mir lässt sich einfangen von dieser Stimmung. Er spricht eher mit sich selbst als zu mir. Er braucht meine Bestätigung nicht, er ist sich sicher. Einer hat es auf den Punkt gebracht. Er schickte Davids Eltern eine Karte mit einem Clown. Darauf stand: „Es ist vielleicht ungewöhnlich, mit einer Clownskarte Beileid zu wünschen. Aber es ist auch ungewöhnlich, von einem Toten zu sagen, dass er lebt!“

Berlin, 15. Mai 1997, Radiosendung: Worte für den Tag – Hans-Joachim Ditz

1993