22.4.2021 | zur Räumungsklage gegen Kisch & Co lassen wir die Ladenbetreiber*innen zu Wort kommen:
Liebe Freundinnen und Freunde,
sicherlich habt ihr alle schon vom Ausgang des Räumungsklageprozesses gegen unsere Kiezbuchhandlung Kisch & Co in der Oranienstraße gehört. Dieser Zivil-Prozess fand im Kriminalgericht Moabit in einem Hochsicherheitssaal statt, der normalerweise vom Strafgericht bei Schwerstkriminalitäts- oder sog. „Terroristen“-prozessen benutzt wird. Der Verhandlungssaal ist ein riesengroßer Saal, in dem normalerweise 20 Medienvertreter und ca. 100 Zuhörer Platz finden.
Zugelassen hatte das Gericht nur 8 Journalisten, die sich vorher akkreditieren mussten und 10 Zuhörer. Die Anwälte, wir und die Zuschauer mussten sich einer knapp halbstündigen Durchsuchung unterziehen und den Ausweis ablichten lassen. Den Anwälten der Spekulanten war es erlaubt worden, nur per Videoschalte aus Frankfurt teilnehmen zu müssen. Diese Anwälte haben im gesamten Verfahren nur einen Satz gesagt. Auf die Frage des vorsitzenden Richters nach einer gütlichen Einigung: „Wir haben kein Mandat für eine gütliche Einigung“. Der Richter hat sich dann damit rausgeredet, dass er nach den Gesetzen entscheiden muss und der Sichtweise unserer Anwälte nicht folgen wird, dass es im Gewerbemietrecht eine Regelungslücke gibt, wonach dies gemäß dem Wohnraummietrecht anzuwenden wäre. Er verwies darauf, dass es Sache der Politik und des Gesetzgebers wäre, dies neu zu regeln. Er hat sich also einen schlanken Fuß gemacht und weggeduckt. Wir haben dann noch unser Prozessstatement verlesen, dann wurde das Urteil verkündet. Anschließend stürmte die Presse auf uns ein.
Vor dem Gericht gab es eine fast 2,5 stündige Kundgebung. Neben vielen Redebeiträgen und Musik, haben die Unterstützer*innen von „Volle Breitseite für unsere Kiezbuchhandlung Kisch & Co“ in satirischer Theaterform einen „Gerechtstermin“ aufgeführt. Die Darsteller*innen zeigten in neun kurzen Szenen, wie sich die (Ge)Rechtslage von Gewerbemieter*innen dramatisch verbessern lässt.
Zu der Kundgebung kamen zu frühmorgentlicher Stunde um 9.00 Uhr an einem Arbeitstag insgesamt ca. 200 Leute. Grandios !!!
Nach Prozess und Kundgebung haben wir trotz gerichtlicher Niederlage die Sektkorken knallen lassen und vor dem Gericht noch ein bisschen gefeiert. Wir haben beschlossen, dass es jetzt natürlich weiter geht.
Zu erwähnen ist, dass sogar der britische „Guardian“ einen längeren Beitrag gemacht hat. Am Sonntag Abend wird dann noch ttt – Titel, Thesen, Temperamente berichten.
Unser Statement vor Gericht:
Wir wollen im Sommer nächsten Jahres zusammen mit unseren Kundinnen und Kunden, mit unseren Freundinnen und Freunden das 25 jährige Jubiläum von unserer Buchhandlung Kisch & Co in der Oranienstraße 25 feiern. Und wir würden dafür gerne nach dieser Gerichtsverhandlung unseren Unterstützer*innen die ersten Einladungen aussprechen.
Wir sitzen hier, weil wir natürlich auch um unsere Existenz kämpfen, für den Erhalt unserer
Buchhandlung und die Arbeitsplätze unserer tollen Mitarbeiter.
Aber darüber hinaus geht es auch um den Erhalt des gesamten Kultur- und Sozialstandorts Oranienstraße 25. In den nächsten Monaten und Jahren laufen bei allen Projekten die Mietverträge aus. Kein Mieter im Haus wird die angestrebten Mieterhöhungen, die im Angebot an ein erstes Projekt, das 3-fache der bisherigen Miete beträgt, bezahlen können.
Zufällig waren wir als Buchhandlung die Ersten, die betroffen sind. Dafür sind wir aber sicherlich dank der Unterstützung von Anwohnern*innen und Initiativen das Projekt mit der größten öffentlichen Zugkraft. Und damit stehen wir natürlich in vorderster Front und somit auch in der Verantwortung dem Druck des Fonds der Victoria Immo Properties V. standzuhalten. Das Schicksal dieses Hauses als Kulturstandort wird ganz entscheidend vom Ausgang dieses Prozesses abhängig sein. Auf der einen Seite steht das Profitinteresse einiger steinreicher anonymer privater Spekulanten, die sich in Lichtenstein hinter treuhänderisch agierenden Anwälten verstecken. Auf der anderen Seite steht jahrelange Arbeit von Kulturschaffenden, Galerien, Museen u.a. mit den Anwohnern zusammen, die auf einen Schlag kaputt gemacht oder verdrängt wird. Wir wollen dem aggressiven, spekulativen Geschäftsmodell Entmietung vor einem zielgerichteten Verkauf mit Rendite nicht tatenlos zusehen.
Gemeinsam haben wir alle die Verantwortung unseren Kindern und Enkelkindern gegenüber den gewachsenen kulturellen und sozialen Strukturen unserer Kieze und Städte ein Fundament zu hinterlassen, auf dem weitere Gestaltung möglich ist. Gemeinsam müssen wir als Bewohner*innen und Mieter*innen dafür Sorge tragen, dass unser Recht auf Wohnraum auch ein legitimes Recht beinhaltet, mit zu bestimmen in welchen Läden wir einkaufen wollen und welches soziale und kulturelle Umfeld sich in der Nachbarschaft ansiedelt.
Eine Sozialverpflichtung der Fondseigentümer, wie Sie im Grundgesetz bei Eigentum vorgeschrieben ist, können wir wohl von diesen freiwillig nicht erwarten.
Wir dürfen die Innenstädte und die noch lebendigen Kieze nicht dem Kapitalüberfluss der Immo Properties dieser Welt überlassen. Die Uhr tickt. Die Waage beginnt bedenklich in Richtung der falschen Seite zu pendeln. Für jede und jeden von uns stellt sich die immer drängendere Frage, die von Politik und auch von Gerichten mit beantwortet werden
muss: Wem gehört die Stadt? Den Menschen, die sie bewohnen und beleben, oder den anonymen Spekulanten in den weltweiten Steueroasen.
Wir wollen diesen Prozess nun aber auch als Chance begreifen, für uns was Großes aber eigentlich auch Selbstverständliches zu erreichen und für die Gesellschaft einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu tun.
Wir fordern daher die Gegenseite auf, dies letztendlich ebenfalls als Chance zu nutzen, um mit uns in substanzielle, nachhaltige Verhandlungen über einen weiterführenden Mietvertrag zu annehmbaren Konditionen einzutreten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.