
Dieter und ich hielten gar nicht erst an, sondern fuhren gleich weiter zum Hospital Municipal. Es war Mittwoch – kein Feiertag. Beste Karten, uns im Durchmarsch den Gelbfieberstoß abzuholen. Dachten wir. Ein bisschen war es dann ja auch so. Nur eben anders!
Auf einem langen leeren Flur empfing uns – immerhin sah das weiße Kärtchen am Kragen etwas nach Visite aus – im ersten Augenschein kein Arzt, sein bunt geringeltes T-Shirt ließ nicht mal auf einen Abiturienten schließen, einzig der Titel prangte auf seiner Brust.
Wenn sich der Doktor so jung hielt, was mochte er wohl erst aus seinen Patienten rausholen?
Umständlich machte er uns klar, dass sie hier zwar impften, Serum jedoch nur in einer Zehnerampulle vorrätig sei. Es fehlten gerade noch sieben weitere Abnehmer. Nächsten Mittwoch seien gewiss alle beisammen, so sah es aus: «Muschkila? – Muuusch Muschkila!»
Seine 1A-Zahnreihe legte uns aufmunternd die Hände um die Schultern, als er uns hinausführte.
Der Assekrim, der Bordj du Pierre de Foucauld. Niger hätte doch Zeit. Tam sei sehr schön.
Kaum vor Ort, verkam mein wunderbares Tamanrhasset zum Kaff – was zum Henker sollten wir hier fast eine Woche lang beginnen! Seit wir hierhin unterwegs waren, hatten wir kaum erwarten können, neue Saiten aufzuziehen und unser Chevaux über die Fantasia zu treiben. Nun würden wir hier verschimmeln. Das Pärchen hatte bestimmt besseres zu tun, als mit uns auf einen Schuss zu warten, der sie gar nichts anging. Der Fichè in unseren Händen war nicht mal sicher. Aus einer Woche konnten schnell mal eben drei werden.
Einzig die große Überfahrt würde unseren Seelenfrieden wieder herstellen.
Die Spielzeugwüste neben der Straße hatte uns angefixt. Wir brauchten mehr. Nicht noch einmal das gestreckte Zeug, das hinter uns lag. Wir wollten den richtigen Stoff, die wirklich sichelscharfen Dünen, Sandfelder, die Einsamkeit. Auch wenn es erst einmal nicht weiter ging, war doch eine Etappe erreicht und auch, wenn das niemand zugegeben hätte, waren wir mehr als froh, noch ein paar Tage sicher im Hafen zu liegen. Obschon am Rand der Wüste fühlten wir uns wie die Todesspringer auf dem Kliff von Accapulco – beklommen.
Merkwürdig, dass wir einen Ort der alles andere als Zivilisation vermittelte als sicheren Anker begriffen. Nach den Maßstäben unserer Mütter waren wir längst am Ende der Welt angelangt. Zwei Kilometer weiter war die Straße nach Europa zu Ende.
Und dann: Leinen Los! Wir würden unsere Nabelschnur trennen.
Auf den Spuren Mungo Parks, Rudolph Barths, Livingstons und wie sie alle hießen. Ich verstand, was sie einst getrieben hatte, gegen den Ruf ihrer Geliebten, Financiers und Könige, immer weiter in diesen Kontinent zu dringen gegen jeden Verstand und wider aller Vernunft. Als könne ich nicht einfach zurück, weil alles, was wir bisher aufgewendet, verschwendet schien, wenn es nicht weit genug reichte, das Unbekannte in seiner Gesamtheit zu begreifen.
Der Gedanke jedoch, noch eine Zeitlang der Mindestversorgung mit köstlichem Obst teilhaftig zu sein, hatte etwas für sich. So nörgelten wir ungeduldig wie Frühpubertierende, die kaum erwarten konnten, eigene Wege zu beschreiten, im Grunde aber gottfroh, dass es noch nicht richtig losging.
Eine Weile verschnaufen und noch mal kräftig zulangen. Wieder eine Wahnsinnstat!
Im Nachhinein finde ich keine Erklärung, was bei uns ausgesetzt hat oder warum – alles lief doch traumhaft.
Ich hatte mich gerade aklimatisiert, mehr noch: Ein Weg war gefunden, all den hässlichen Demütigungen zu begegnen, in die ich mich immer wieder hinein gezogen fühlte.
Die Pommes waren eine Wucht. Mit einem ordentlichen Schlag Ail’oli. Spezialrezept aus Suzannas Sippe. Wie gebannt verfolgte ich das wunderbare Werden dieses geheimnisvollen Gallerts. Keine halbe Stunde nach der Völlerei kündeten erste schweflige Eruptionen aus drei Mägen, dass rohes Vollei gar nicht unser Ding war.

Fotos: Mathes