Blick zurück | Die Ausstellung “… dann machen wir’s halt selbst“

Fünf Monate und 2.000 Besucher:innen später erinnern wir an unsere Jubiläumsausstellung in den Räumen des FHXB-Museums, die heute zu Ende geht. Wir möchten an dieser Stelle uns nochmal ausdrücklich bei den Menschen im Museum bedanken, dass wir die Ausstellung machen konnten und so viel Unterstützung erfahren durften.

Es war eine tolle Erfahrung, mit allen Projekten tiefer in den Austausch treten zu können, als es sonst im Alltag möglich war.

Dank auch an Inga, die uns mit ihrem künstlerischen Geschick ein wunderbares Setting für unsere Erinnerungsstücke schuf und den nach allen Richtungen davonwuselnden Erinnerungen einen analytischen Rahmen verpasste.

Dank an Alle für die Lernprozesse in der Vorbereitungszeit!

Mit Ingas Worten, die am Anfang der Ausstellung standen, verabschieden wir heute das schöne Projekt.

„Liebe alle,

ich bin kein so großer Fan von Eröffnungsreden, aber ich habe das Gefühl, es gibt diesmal viel zu sagen.

Wir eröffnen heute die Ausstellung “dann machen wir’s halt selbst“, die auf die Initiativen von Regenbogenfabrik, HeileHaus, Schokofabrik und Kinderbauernhof am Mauerplatz  (Projektgruppe) zurückgehen, vier Initiativen, die vor 40 Jahren besetzt wurden und das bedeutet auch, die seit 40 Jahren als selbstorganisierte Projekte in Berlin bestehen.

In der Ausstellung sind auch Casa Kuà vertreten, ein trans*, inter*, queerer Gesundheits- und Gemeinschaftsraum auf der Naunynstraße, die es seit dem letzten Herbst gibt. Ihr seid direkt in den Corona-Lockdown gestartet.

Wir sind hier um die Existenz dieser Initiativen zu feiern.

Vielleicht wisst ihr, dass wir eigentlich im Mai eröffnen wollten. Und es ist eine tolle Zeit um alle Verspätungen auf Corona zu schieben. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schlecht wir in Selbstorganisation – oder ich zumindest – Aufgaben und Herausforderungen abschätzen können, was wir für machbar und erreichbar halten, wie wir unsere Aufgaben und Zeitaufwand kleinrechnen. Denn sonst, wenn wir darin realistischer wären, würden wir viele Projekte vielleicht gar nicht beginnen. Sicher trifft das auf viele selbstorganisierte Initiativen zu.

Als ich mich bei euch, der Projektgruppe, gemeldet habe, um mich auf den Job der Kuratorin zu bewerben, war mir wichtig, dass wir Selbstorganisation in dieser Stadt nicht als weiße Erzählung berichten. Und dass wir den Blick nicht nur auf die ehemals besetzten Häuser richten und uns gegenseitig auf die Schulter klopfen. Heute (und auch damals) findet in dieser Stadt Selbstorganisierung von Personen statt, die sich antirassistisch positionieren, die, wie Casa Kuà, für eine nicht-rassistische, trans*inklusive Gesundheitsversorgung einstehen. Initiativen, die Geflüchtetenproteste organisieren, die sich gegen Polizeigewalt wehren und sich für Gleichbehandlung einsetzen. Selbstorganisierung ist oft das einzige Mittel, das uns bleibt, wenn die Zustände, die wir vorfinden, unzumutbar sind, seien das Wohnungsnot oder eine von struktureller Ausgrenzung geprägte Gesellschaft.

Dieser Impuls liegt auch allen hier vertretenen Initiativen zugrunde, die seit 40 Jahren bestehen: ein autonomes Frauenzentrum zu gründen, das Raum für Frauen und Lesben bietet, im Fall der Schokofabrik. Ein selbstverwalteter Raum für Gesundheit im Fall des Heilehauses. Ein auf Beteiligung und Selbsthilfe ausgerichtetes Kulturzentrum im Fall der Regenbogenfabrik. Ein offener Spiel- und Lernort mit tiergestützer Pädagogik mitten in der Stadt im Fall des Kinderbauernhofs.

In der Projektgruppe (also die vier Initiativen und ich als Kuratorin, mit Unterstützung des Museums) haben aber auch viele Auseinandersetzungen stattgefunden, die uns alle viel Kraft gekostet haben. Darin ging es um unser Verständnis von den Positionen, die wir in einer strukturell ausschließenden Gesellschaft einnehmen. Wir haben intern  zu Materialien, Bildern und Begriffen aus der Vergangenheit und Gegenwart gearbeitet, die uns darauf schließen lassen, dass sich die älteren Initiativen zu wenig mit ihren eigenen Ausschlüssen auseinandergesetzt haben: Auch in selbstorganisierten Räumen sind Ressourcen und Privilegien ungleich verteilt. Wer ist in Entscheidungspositionen? In bezahlten Stellen? Wer hat Zugang zu diesen Räumen? Auch hier müssen wir uns kritisch fragen: wer fühlt sich in selbstorganisierten Räumen sicher?

Das Gewicht dieser Fragestellungen haben wir in diesem gemeinsamen Prozess in der Projektgruppe (also die initiierenden Initiativen und ich als Kuratorin) gespürt. Warum diese Fragen so wichtig sind? Alle, die von strukturellen Ausschlüssen betroffen sind, wissen, warum sie so wichtig sind. Aber denjenigen von uns, die diese Ausschlüsse nicht persönlich erfahren, uns muss klar werden, dass wir selbstorganisierte Räume, die wir hier heute feiern, als Errungenschaften, als politische Entwürfe, als Erprobungsräume neuer Formen des gemeinsamen Arbeitens, des gemeinsam Lebens für alle sichern und öffnen müssen. Das erfordert eine kritische Auseinandersetzung in unseren Initiativen.

Diesen Aufruf möchte ich aus diesem Arbeitsprozess für diese selbstorganisierten Initiativen mitnehmen. Durch diese Auseinandersetzungen zu gehen war schwierig und kräftezehrend für uns. Auch insofern war es ein gutes Beispiel für Selbstorganisation: Durch das Miteinander-machen, das gemeinsame Herausfinden, das Weitermachen nach Lösungen suchen und Konflikte aushalten. Ich hoffe, dass uns diese Auseinandersetzungen weiterführen und sich Öffnungsprozesse in unseren Initiativen anschließen.

Ich bedanke mich bei der Projektgruppe für das Vertrauen, diese Konflikte auszuhalten, und ich bin froh, wenn wir daran gemeinsam gewachsen sind.

Ich hoffe, dass unsere Ausstellung auch über diese Auseinandersetzungen Aufschluss gibt. Und dass sie euch einlädt,  tiefer einzutauchen in die Geschichten der Initiativen, deren 40-jähriges Bestehen wir in diesem Jahr feiern.

Schaut euch um auf unserer Projektwebsite. Dort ist dieses Ausstellungsprojekt auch über ihre Laufzeit hinaus dokumentiert.

https://dann-machen-wir-es-selbst.org/

Ingas Dankesworten am Ende ihrer Ansprache schließen wir uns an:

– Judith Fehlau, für das Design unserer Website

– Burcu Türker, die die Ausmalbilder für die Ausstellung gestaltet hat

– Natalie Bayer für die inhaltliche Unterstützung, das war mir sehr wichtig und hat mir weitergeholfen

– Natalie Maier und Ellen Röhner vom FHXB-Museum, die den gesamten Prozess begleitet haben und an

– Florian, der den Aufbau technisch unterstützt hat

Das Projekt wurde finanziert vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sowie von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt https://www.stiftungmunda.de/

Alle Fotos: Inga Zimprich