Georg von Rauch

Noch ein paar Tage nur: Am 8. Dezember wird es dieses Jahr auf dem Mariannenplatz feierlich zugehen, Lieder werden gesungen am Abend und Redebeiträge gehalten. Es ist der „50. Geburtstag“ des Georg-von-Rauch-Hauses zu erinnern. Oder besser: die Erinnerung an die damalige Besetzung. Der Rauchhaussong der Ton Steine Scherben wird wieder mal erklingen.

Wie kam es zu der Benennung des besetzen Hauses nach Georg von Rauch und wer war dieser junge Mann?

Er war in den linken Gruppen der „nach-68er“ in Westberlin bekannt als einer aus dem Umfeld der Berliner „Haschrebellen“, war ins Visier des Staatsapparates geraten wie damals so viele. Auch sein Freund und Genosse Thomas Weisbecker. Am Nachmittag des 4. Dezember 1971 wurde er bei einer Fahndungsaktion gegen die sogenannte Bader-Meinhof-Gruppe in der Schöneberger Eisenacher Str. von einem Zivilfahnder gestellt und erschossen. Der Mord wurde nicht strafrechtlich verfolgt. Dieses skandalös-dramatische Ereignis war der Hintergrund für die Benennung bei der Besetzung vier Tage später.

Was bedeutet die Erschießung des Genossen Georg von Rauch für mich?

Zunächst war ich am 4.12.1971 sechszehneinhalb Jahre alt.

Im besten „fridays und greta“-Alter. War im Süden Westberlins behütet aufgewachsen und 1970 konfirmiert worden. Es war eine linksliberale Gemeinde und so ging ich hinein in eine Art lebendig praktizierten christlichen Antifaschismus.

Wir waren 1970 in die CSSR nach Prag gefahren, hatten die Gedenkstätten in Lidice und Theresienstadt besucht. Ich hatte zur Vorbereitung ein Referat über das Münchner Abkommen und die anschließende NS-Besatzung der Tschechoslowakei abgeliefert.

Wir, meine Freunde und ich, waren im Kontakt mit „den Großen“, d.h. älteren Studentinnen und Studenten, die in unserer Schlachtenseer Kirchengemeinde mit uns „Kids“ Arbeitskreise veranstalteten, z.B. zur Lektüre von A.S. Neill „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“.

Alles faszinierend neu für mich und es erdete meine Haltung gegen das Schweigen unserer Eltern(generation) über Faschismus und Beteiligung.

„Gebündelt“ hat sich für mich alles über die sich herausbildende Rockmusik. Besonders über die politische Rockmusik der Hippies, mit Woodstock, Friedensträumen und Revolutionsgesang. – für meine Eltern war das „primitive Urwaldmusik“. Nur in der Kirchengemeinde war der Raum zum Austausch und Einüben von Debatte. Wir trafen uns im Keller des Gemeindehauses, die Haare wuchsen auch tiefer ins Gesicht, die Mädchen wirkten auf mich immer attraktiver und blieben mir doch unerreichbar.

Und dann gab es da diese Rebellen in der Innenstadt. Die machten Alarm, die hatten viel längere Haare und die kamen wild und gefährlich daher.

Und sie hatten Recht. Das war das wichtigste, ich konnte sie gut verstehen.

Sie unternahmen etwas, was ich mich nicht traute. Und sie waren klug und listig.

Zum Beispiel Georg von Rauch und Tommy Weissbecker. Weil sie auch Sicht der Erwachsenenwelt in ihrem Aussehen nicht zu unterscheiden waren, sie galten eh nur als „langhaarige Affen“. Und beide kamen sie aus dem Kriminalgericht Moabit auf freien Fuss. Mit einem Trick, dem „Verwechselungsblues“: der freigesprochene von den Beiden bleibt sitzen im Gericht, der Verurteilte geht an seiner Stelle aus dem Saal, hinaus in die Freiheit. Der freigesprochene kann danach nicht inhaftiert bleiben.
Wie cool war das denn! Muss man erstmal bringen, solch ne freche Geistesgegenwart.

Und wie haben wir uns amüsiert auf dem Bolzplatz hinter dem Studentendorf Schlachtensee, wo wir Jungens mit den Studenten Fußball spielten – wenn sie uns mal mitspielen ließen.

Dann ein paar Monate später plötzlich die Nachricht in der Zeitung – bei uns zu Hause wurde „die Welt“ gelesen – dass sie einen „gefährlichen Terroristen“ in Schöneberg erwischt hätten, und in der Schießerei an der Eisenacher Straße wäre „der bewaffnete Angreifer“ seinen Verletzungen erlegen.

Ich glaubte kein Wort. Ich war nur wütend und ohnmächtig zugleich. Ich dachte, was wird wohl jetzt aus uns? Wo „sie“ anfangen unsere Helden abzuknallen wie im Italowestern.

Eine Zeit später, irgendwann 1972, kam die zweite Schallplatte von „Ton Steine Scherben“ raus, mit rauher deutscher Rockmusik und mit einem irren Song über die Besetzung am Mariannenplatz, dem „Rauchhaussong“.

Und da war Georg von Rauch plötzlich unsterblich geworden in meiner kleinen Welt.

Dass wir keine Helden brauchen und dass Georg auch kein Held war, wusste ich damals noch nicht. Es ist wie es ist. Alles muss der Mensch halt selber machen.

Der Rauchhaussong begleitet mich bis heute. Bald gehe ich in Rente.

Leh von Umbruch-Bildarchiv“