Teilen möchten wir einen Text eines Freundes von Anette. Diese Rede hat er gehalten bei der Trauerfeier nach der Beisetzung im RegenbogenKino.
Liebe Familie von Anette, liebe Freundinnen und Freunde von Anette,
liebe Aktive aus der Regenbogenfabrik,
die Nachricht von Anettes plötzlichem Tod hat mich wie euch alle tief betroffen gemacht.
Ich möchte euch heute die Anteilnahme all derjenigen Kollegen und Kolleginnen übermitteln, die sie kannten: im Kreuzberg-Museum, im Kulturamt Friedrichshain-Kreuzberg und im gesamten Bezirksamt. Aber ich möchte euch auch den letzten Gruß ihrer ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen an der Freien Universität übermitteln. Denn Anettes Wege und meine haben sich im Verlauf unseres Studiums- und Berufsweges in Berlin immer wieder gekreuzt.
Was uns verbunden hat, war das gemeinsame Studium am sogenannten EWI, dem Institut für Erziehungswissenschaften der FU Berlin. Anette hat sich schon im Grundstudium für die Selbstorganisation der Studierenden intensiv eingesetzt, an der Formulierung und Durchsetzung gemeinsamer Interessen mitgewirkt, und sie hatte mit anderen engagierten Studenten die Reform des Diplom-Studienganges gefordert, der damals überhaupt nicht darauf ausgerichtet war, Antworten auf die Herausforderungen der drängenden sozialen Probleme dieser Stadt zu befördern; ein Studiengang, der noch weniger in der Lage war, die Neugierde der Studierenden auf spannende Lerninhalte zu befriedigen, geschweige denn, ihre Wünsche an der Lösung der drängenden sozialen und politischen Probleme dieser Stadt mitzuwirken, angemessen aufzunehmen und als Vehikel für die Entwicklung der Studieninhalte zu nutzen..
Ein Praktikum bei „Wohnen und Leben“ in der Wrangelstraße hat Anette damals, 1980, in den sozialen Alltag Kreuzbergs geführt, und sie hat das Streiksemester 1981 intensiv genutzt, um sich einzumischen in den Kampf um selbstbestimmtes Wohnen und Leben, um die Erhaltung und Wiederbelebung der vom Abriss bedrohten Gebäude, die neuen Formen des Zusammenlebens und –arbeitens einen Raum bieten konnten. Hier war ihr Engagement gefragt und notwendig, hier schien es ihr viel eher möglich verändernd einzugreifen in das vermeintlich Unveränderbare als an der Universität und es gelang ihr Utopien wenn nicht gleich zu leben so doch sie zu formulieren. Dieses Streiksemester in Zusammenhang mit der Hausbesetzerbewegung bildete dann auch den Beginn der nunmehr 33 jährigen Geschichte der Regenbogenfabrik. Für Anette blieb es kein Streiksemester. Sie kehrte dem Studium für lange Zeit den Rücken (bis sie es Jahre später wieder aufnahm und erfolgreich abschloss) und widmete sich dem Aufbau des selbstverwalteten Kinder-, Kultur- und Nachbarschaftszentrums in der alten Chemiefabrik an der Lausitzer Straße., in der wir uns heute befinden.
Im Verlaufe unseres jeweiligen Berufsweges verband uns das Interesse an der lokalen Geschichtsarbeit und Denkmalpflege sowie an der Beförderung des kulturellen und politischen Selbstausdrucks der Menschen, die hier leben – an der Bereitstellung von Räumen für Kulturarbeit im weitesten Sinne – allerdings aus sehr unterschiedlichen Positionen heraus. Denn die Organisationsformen eines selbstverwalteten Betriebes und eines Bezirksamtes sind wohl kaum miteinander vergleichbar.
Während ich zur Kompromissbereitschaft neigte, habe ich an Anette immer bewundert wie hartnäckig, unbeugsam und kompromisslos sie ihre Überzeugungen lebte und in realistische Alltagsstrategien umzusetzen wusste. Die Arbeit im Kollektiv, basisdemokratische Entscheidungsfindungen, flache oder gar keine Hierarchien waren für sie Ideale, die sie nie aufgegeben hätte, auch wenn sie die tägliche Arbeit nicht gerade einfach machten und sie sich vor allem als ungemein zeitintensiv erwiesen. Der Begriff „zeitintensiv“ meint dabei gar nicht „zeitfressend“ in negativem Sinne, sondern die Betonung liegt bei „intensiv“. Anette hat nach meiner Beobachtung (aus der Entfernung weniger Kilometer heraus) ihre Lebenszeit intensiv gelebt. Bis zuletzt.
Dass dieses Leben kräftezehrend war, aufopferungsvoll, selbstausbeuterisch und bestimmt auch immer wieder mit Zweifeln versehen brauche ich nicht zu erwähnen. Dass einen manchmal auch der Mut zu verlassen droht, das wisst ihr selbst.
Ich möchte besonders würdigen, dass Anette mit der großen Zahl von sozialen und kulturellen Projekten, die sie – gemeinsam mit den anderen Aktiven der Regenbogenfabrik – ins Leben rief, im Laufe der Jahre sehr vielen Menschen, darunter auch besonders Hilfebedürftige, zu sinnvollen Tätigkeiten verholfen hat, ihnen Mut gemacht hat die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen und sich in die Arbeit im Kollektiv einzubringen. Solche Projekte im Kontakt mit den Arbeitsämtern durchzusetzen und bürokratietechnisch abzuwickeln, war immer eine große Herausforderung und ist – wie der stetige Kampf um Fördermittel überhaupt – mit Rückschlägen und Enttäuschungen verbunden. Die Projekte zu betreuen erfordert eine hohe soziale und menschliche Kompetenz. Die hatte Anette. Und diese Arbeit ist in den letzten Jahren noch erheblich schwieriger geworden, sie verlangt häufig, die eigenen Bedürfnisse zugunsten anderer zurückzustellen, und die damit verbundenen Strapazen sind an Anette bestimmt nicht spurlos vorübergegangen.
Ihren Mut und ihre Duldsamkeit, dieses Leben mit allen Konsequenzen zu führen, verdient große Anerkennung. Sie ist mein Jahrgang – 1957 – und ich hätte ihr so gern weitere Lebensjahre gewünscht. Die sind ihr nun nicht vergönnt gewesen.
Auch das erfüllt uns mit großer Trauer. Aber vielleicht ist sie ja jetzt dem Regenbogen sogar näher als sie es hier war.
Martin Düspohl
Abschiedslied von Laura Bean: Wayfaring Stranger