Wer schon bei einer Veranstaltung über „Wegbereiterinnen“ in der Regenbogenfabrik war, weiß schon längst, dass unglaublich viele großartige Frauen, die die Welt verändert haben und leider von der Geschichte runtergeschluckt wurden, meistens um irgendeinen Mann statt ihrer für ihre Werke zu belohnen. Ein Bereich, in dem Frauen besonders kämpfen müssen, um sich irgendeinen Platz zu sichern zwischen Meister und Genien, ist die Kunstwelt.
Ich habe schon einen Artikel über meine Lieblingskünstlerin, Niki de Saint Phalle, geschrieben, aber sie ist eine der seltenen Frauen, die ihren Erfolg zu ihren Lebzeiten erlebt hat. Allerdings nur als Ausnahme in einer Männerwelt. Zu erwähnen ist auch Frida Kahlo, die vielleicht als einzige Künstlerin sogar bekannter als ihr Mann, Diego Rivera, geworden ist.
Dass es mit Sexismus und der systematischen Auslöschung von Frauenfiguren zu tun hat, daran gibt es keinen Zweifel.
Starke Frauen, die gesellschaftliche Normen bewegen und durch ihre Existenz gezeigt haben, dass die misogynen Narrative der schwachen, dummen und untalentierten Frau totaler Schwachsinn sind, sind eine Gefahr für die patriarchalischen Machverhältnisse. Ja, Frauen findet man in Museen, allerdings sehr oft nur als Nacktmodelle. Das feministische Künstlerkollektiv Guerrilla Girls, 1985 in New York gegründet, wurde bekannt für seine Punchline Slogans, die diese Ungerechtigkeiten anprangern: „Are there more naked women than women artists in Museums?“ „Do women have to be naked to get into the Met? Less than 4% of the artists in the Modern Art section are women, but 76% of the nudes are female” Durch illegale Plakatierung und Kunstinstallationen wird das Kollektiv bekannt und schafft es, seine Botschaften auch weltweit zu verbreiten.
Künstlerinnen gab es schon immer, aber es liegt nicht am fehlenden Talent, dass sie nicht erwähnt werden. Dazu kam es oft, weil sie im Schatten eines Mannes gearbeitet haben. Jackson Pollock ist der ganzen Welt bekannt. Aber seine Frau, Lee Krasner, die erst seit den 90er Jahren (das ist nach ihrem Tod 1984!) als genauso einflussreich für die abstrakte Kunst wahrgenommen wurde, wird immer noch als „Pollock’s Frau“ bezeichnet. Und warum ist Yoko Ono in populären Medien hauptsächlich als Witwe von John Lennon genannt? Niki De Saint Phalle hätte auch nur als „Frau von Jean Tinguely“ bekannt sein können, wenn sie nicht aktiv dagegen gekämpft hätte. Natürlich sind diese Ungleichheiten nicht nur in der Kunstwelt vorzufinden, sondern in jedem Bereich, wo Männer in Mehrzahl sind und Frauen kämpfen müssen, um sich einen Platz freizuräumen.
Vor zwei Wochen war ich in der Kunsthalle Hamburg und konnte durch eine Ausstellung die Werke von Toyen entdecken, ein_e Tschechische_n KünstlerIn, die_er zur Surrealistischen Bewegung beigetragen hat. Als ich ihre_seine unglaublichen Werke sah, war ich komplett schockiert, dass ich nicht einmal von ihr_m gehört hatte. Ihre_seine Kunst ähnelte Werken von André Breton und Salvador Dali, beide Künstler, deren Namen weltbekannt sind.
Interessant ist auch, dass Toyen zwar als Frau geboren ist, aber eine nicht-binäre Existenz geführt hat und ihre Gender-Identität als breites Spektrum sah, was auch in ihrer_seiner Kunst und ihrem_seinem neutralen Künstlernamen durchscheint.
Dadurch wurde ich wieder dazu konfrontiert, wie eingewurzelt das Erlöschen von talentierten FLINTAs ist. Ich würde behaupten, dass ich mich ein Minimum mit Kunst auskenne und trotzdem kannte ich Toyen nicht.
Wie viele tolle Künstler:innen werde ich nie kennen, weil populäre Medien einfach viel weniger Minderheiten ins Rampenlicht setzen?

Dafür werden zu oft toxische Männer bewundert, wie Picasso oder Rodin, die ihren Erfolg durch systematischen Missbrauch und Manipulation der talentierten und liebevollen Frauen in ihren Leben erreicht haben. Wer sind schon Dora Maar und Camille Claudel – neben einem Genie?! Ja, doch nur eine Muse?!
Es gibt einen extrem interessanten französischen Podcast zu hören mit dem sehr poetischen Titel „Vénus s’épilait-elle la chatte?“ (die Übersetzung lass ich euch!), der sich mit Kunstgeschichte und Gerechtigkeitskämpfen beschäftigt und eine ganze Folge über Picasso zur Verfügung stellt.
Was mir aber tatsächlich Hoffnung gibt, ist die Ausstellung, die ich in Hamburg besucht habe: Möglichkeiten für FLINTAs nicht nur eine Wand für Kunst zu bekommen, sondern ganze Räume und Ausstellungen.
Ich weiß, es wird besser, nur halt nicht schnell genug für meinen Geschmack!
Charlotte Castillon-Weiss