Seit wann wohne ich im Hinterhaus?
Ich bin im April 1986 zusammen mit 5 anderen eingezogen. Ende 1985 war das Hinterhaus nach langen Verhandlungen legalisiert und erstmals ein Mietvertrag abgeschlossen worden. Auf dieser Grundlage sollte das Haus zunächst instandgesetzt und später saniert werden. Einige der damaligen Besetzer*innen hatten darauf keine Lust und haben es vorgezogen auszuziehen. Somit wurden auf einen Schlag mehrere Zimmer frei und es wurden neue Bewohner*innen für die freien Zimmer gesucht.

Bei Einzug war ich gut 26 Jahre alt. Inzwischen wohne ich schon länger im Hinterhaus, als ich damals alt war. Ich bin innerhalb des Hauses nie umgezogen. Noch vor meinem Einzug ins Haus habe ich als erste Renovierungstätigkeit die Ösen für meine Hängematte angebracht. Hängematten hatte ich in Nicaragua kennengelernt und sie haben mich gleich fasziniert. Die Hängematte habe ich seitdem mehrfach ausgewechselt, aber die Ösen sind immer noch die von damals.
Was war und sind meine Motivation damals bzw. heute?
Ich selbst bin über Karl in das Hinterhaus gekommen. Karl hatte ich im Rahmen der Solidaritätsaktivitäten der IG Metall in Nicaragua kennengelernt. 1985 waren wir beide zusammen mit der ersten Solidaritätsbrigade der IG Metall für gut einen Monat nach Nicaragua gereist. Bei der Vorbereitung der Reise im April 1985 kam ich zum ersten Mal in die Regenbogenfabrik. Rund ein Jahr später hat Karl mich gefragt, ob ich einziehen möchte; es wären noch einige Zimmer frei.
Der Entscheidung einzuziehen war mir damals nicht leicht gefallen. Ich hatte 1982 schon einmal bei einem Selbsthilfeprojekt im Wedding mitgemacht. Da bin ich aber nach einem halben Jahr wieder ausgestiegen, da das Haus im Rohbauzustand war und wir dort noch nicht wohnen konnten und da die am Wochenende anstehende Selbsthilfearbeit weitgehend identisch war mit meinen Tätigkeiten während der Woche bei meiner Ausbildung als Bauschlosser. Aber Selbsthilfe in einem Haus, in dem man auch selbst wohnt, ist dann ganz etwas anderes. Und außerdem war ich 1986 nicht mehr in der Ausbildung, sondern bereits Schlossergeselle und konnte somit bei den Selbsthilfearbeiten einiges an Fachkenntnis einbringen.
Seitdem ich zu Hause ausgezogen war, hatte ich immer in Vierer- oder Dreier-WGs gewohnt, wollte aber eigentlich immer in einer größeren Gruppe wohnen, da mich das selbstorganisierte Zusammenleben in größeren Gruppen fasziniert hatte, das ich in meiner Pfadfinderzeit kennengelernt hatte.
Das Konzept der Essensgruppe entsprach meinen Vorstellungen, weil es einerseits einen festen Rahmen für die alltägliche Versorgung vorgab, andererseits aber viel Freiraum ermöglichte. Die Ansprüche an gemeinsame Aktivitäten beschränkten sich auf die Organisation der Mahlzeiten. Aber mittels dieser Basis entstanden Freiräume für andere Aktivitäten, denn man war und ist nur einmal in der Woche dran mit kochen und einkaufen und kommt doch in den Genuss, dass praktisch immer alles gewünschte ausreichend da ist.
Wichtig waren und sind für mich folgende Elemente des Zusammenlebens:
- Gemeinsames Bewirtschaften des Hauses, wobei jede Person die gleichen Rechte und Pflichten hat – unabhängig von der jeweiligen Einkommenssituation.
- Die Ablehnung von Abstandszahlungen, die es ermöglicht, dass ein breites Spektrum von Personen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund zusammenleben können.
- Beschränkung auf einen Wohnraum pro Person – egal welchen Alters plus Räume, die gemeinsam genutzt werden können.
- Besondere Förderung von Kindern.
- Verbindlichkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit bei den gemeinsam im Haus zu bewältigenden Instandhaltungs- und Verwaltungsaufgaben.
- Entscheidungen im Konsens, bei denen das gegenseitige Verständnis unterschiedlicher Ansichten und die Suche nach Optionen, die für alle akzeptabel sind, im Vordergrund stehen.
- Das Bestreben alle Bewohner*innen bei wichtigen Entscheidungen einzubeziehen.
- Bei Konflikten die gemeinsame Suche nach Lösungen, mit denen alle Betroffenen leben können.
- Die Vielfältigkeit der Formen des Zusammenlebens, die von WGs, Kleinfamilien, Alleinerziehenden bis zu Single-Haushalten reichen und auch Raum für eine große Essensgruppe bietet.
- Die Möglichkeit, eng mit Kindern zusammenzuwohnen, auch wenn ich selbst keine eigenen Kinder habe.
- Flexibilität und Kreativität bei neuen Herausforderungen und der Weiterentwicklung des Zusammenlebens.
- Hilfsbereitschaft zwischen den Bewohner*innen und Unterstützung von Bewohner*innen, die in einer besonderen oder schwierigen Situation sind.
- Konsequentes Verhalten gegenüber Bewohner*innen, die sich unsolidarisch verhalten oder die Hausgemeinschaft ausnutzen.
- Das Bestreben, das Zusammenleben so ökologisch verträglich wie möglich zu gestalten (naturverträgliche Baustoffe, BHKW, Regenwasseranlage, Dachbegrünung, Fahrradkeller, etc.).
- Die Verbindung zur Regenbogenfabrik mit der Möglichkeit, sich in verschiedenem Umfang zu engagieren und einzubringen und die Angebote zu nutzen, die sie bietet (Kultur, Kino, Musik, Kantine, etc.).
Wie geht es mir aktuell?
Derzeit fühle ich mich sehr aufgehoben und wohl im Haus, vielleicht sogar so wohl, wie nie zuvor. Obwohl es keine Ansprüche an gemeinsame Aktivitäten gibt, hat sich meines Erachtens die Anzahl von Aktivitäten, an denen mehrere Bewohner*innen teilnehmenm wie auch die Anzahl der Teilnehmer*innen an solchen Aktivitäten in den letzten Jahren erhöht (Feiern, Wanderungen, Filme, etc.).
Viele Besucher*innen spüren, dass die Hausgemeinschaft sehr gut zusammenhält und bewundern oder beneiden oft unsere Form des Zusammenlebens. Das gilt umso mehr, da wir jetzt eine langfristige Perspektive für das Hinterhaus vereinbaren konnten.
Ich freue mich auf viele weitere gemeinsame Jahre in der Hausgemeinschaft und bin gespannt, was noch alles auf uns zukommt.

Es ist schon ein paar Jahre her, seit der Text zuerst geschrieben wurde, doch es musste fast nichts verändert werden. (chz)